Professur für Psychology & Digital Mental Health Care veröffentlicht Studie im Journal „Digital Medicine“

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Das Nature Journal "Digital Medicine" ist eine internationale, von Experten begutachtete Open-Access-Zeitschrift, die sich der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen widmet, die für alle Aspekte der digitalen Medizin und Gesundheit relevant sind
Fanny Kählke ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Psychology & Digital Mental Health Care

Die Nachfrage an Psychotherapien in Deutschland ist hoch, die Grauzone vermutlich noch höher. Viele Expert_innen warnen bereits seit Jahren vor einer Versorgungslücke für Betroffene. Internet- und mobil-basierte Interventionen (IMIs), also Programme, könnten dem Problem Abhilfe verschaffen. Doch sind diese neben der Effizienz und Wirksamkeit auch kostengünstiger als ihre Alternativen? Fanny Kählke, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für Psychology & Digital Mental Health Care, hat diese Problematik anhand einer systematischen Überblicksstudie zur ökonomischen Bewertung der „IMIs“ untersucht. Die Ergebnisse wurden unter dem Titel „Systematic review of economic evaluations for internet- and mobile-based interventions for mental health problems" im Nature Journal „Digital Medicine" veröffentlicht. Die Fachzeitschrift hat einen Impact Faktor von 15,36.

Die Evidenzlage ist eindeutig. Viele internet- und mobilbasierte Interventionen sind ähnlich effektiv wie beispielsweise „Face-to-Face“-Behandlungen in der Psychotherapie. Die Fragestellung hinter der Untersuchung ist dementsprechend logisch sowie sinnvoll: „Wenn wir verschiedene Therapien zur Verfügung haben und alle ähnlich wirksam sind, nehmen wir natürlich die mit den geringsten Kosten. IMIs scheinen weniger Kosten zu generieren, dies ist aber wissenschaftlich noch nicht belegt“, erklärt Kählke. Auf dieser Grundlage wertete die Doktorandin knapp 4.044 Artikel aus und verglich 36 eingeschlossene, gesundheitsökonomische Evaluationen hinsichtlich ihrer Kosteneffektivität und Wirksamkeit. Das Ziel der Untersuchung war es, die aktuelle Evidenzlage darzulegen, auf methodische Qualität zu prüfen und Störfaktoren auszuschließen. „Es gab sehr viele schlechte Studien, die nicht die richtige ökonomische Methodik angewandt haben. Deswegen war unsere Untersuchung engmaschig eingegrenzt“, so Kählke.

Dabei wurden alle Analysen über Interventionen, die psychische Probleme adressierten, außer Sucht und Abhängigkeiten, evaluiert. „Wir wollten zum Schluss sagen können, welche IMIs kosteneffektiv sind und welche wir empfehlen können. Das hätte dann eine direkte Auswirkung auf Praxis und Anwendbarkeit.“ Die Auswertungen zeigten, dass die meisten Studien Interventionen zur Reduzierung von depressiven Symptomen und Ängsten untersuchten. Oftmals wurden diese allerdings begleitet durch eine_n Therapeut_in. Nur rund ein Drittel der Studien war unbegleitet. „Bei den unbegleiteten IMIs zeigt sich eine Tendenz, dass diese kosteneffektiv sind. Es gibt zurzeit allerdings zu wenige Studien, sodass wir noch keine klare Empfehlung zur Anwendbarkeit abgeben können“, erläutert Kählke. Für die Zukunft sieht sie jedoch gute Einsatzmöglichkeiten für die unbegleiteten Interventionen: „Wir würden das gerne empfehlen, brauchen dazu aber eine bessere Evidenzlage. Der Vorteil ist, dass die IMIs sehr gut skalierbar sind. Sie können ohne zusätzliche Kosten vielen Personen angeboten werden. Trotz unzureichender Evidenz besteht die Möglichkeit, eine Empfehlung auf individueller Basis zu geben. Wenn eine unbegleitete IMI wirksam und kosteneffektiv ist, dann sollte sie in der Praxis auch eingesetzt werden.“

Therapeut_innen könnten nun um ihre berufliche Zukunft fürchten. Doch Kählke widerspricht dem vehement. „Es geht nicht darum, Therapeut_innen zu ersetzen, sondern die Versorgungslücke abzudecken, die durch zu wenig Fachkräfte entstanden ist, sowie Wartezeiten bis zu Beginn der Therapie sinnvoll zu überbrücken. Hierzu bieten sich internet- und mobil-basierte Interventionen als Maßnahmen an.“ Den großen Vorteil von IMIs sieht Kählke zudem in den vielen Barrieren bei der Hilfesuche, die für Betroffene immer noch vorhanden sind: „IMIs können immer durchgeführt werden, dafür wird nur ein Internetanschluss benötigt. Niemand reduziert dich aufgrund deiner Krankheit. Wir müssen eine frühzeitige Versorgung der Personen garantieren. Je nach Ausmaß des Problems können wir auch die Intensität der Intervention (Prävention, Therapie und Nachsorge) in einem gestuften System (stepped-Care) anpassen. So kann einer Vielzahl der Menschen besser geholfen werden. Das ist ein wichtiger Faktor“, erklärt die Gesundheitswissenschaftlerin.

In der gesellschaftlichen Entwicklung in Bezug auf psychische Probleme sieht Kählke in den letzten Jahren deutliche Fortschritte: „Die Thematik wird inzwischen offener angesprochen. Das liegt auch daran, dass prominente Personen aufgeschlossener mit dem Thema umgegangen sind und sich geoutet haben“, erläutert die wissenschaftliche Mitarbeiterin. Dadurch werde professionelle und kompetente Hilfe mittlerweile häufiger in Anspruch genommen. „Das Problem ist aktuell jedoch, dass wir zu wenige Angebote haben. Deswegen haben wir unsere Studie zu den IMIs durchgeführt."

Trotz der Fortschritte in den letzten Jahren wünscht sich Kählke mehr Aufmerksamkeit für die Betroffenen und ein Umdenken in der Gesellschaft: „Wir müssen versuchen, Normen zu ändern, damit die Stigmatisierung von psychischen Krankheiten aufhört. Wenn ich einen Arm gebrochen habe, gehe ich zum Arzt. Genau dasselbe Denken muss auch bei psychischen Krankheiten im Bewusstsein der Menschen verankert werden."

 

Zur Publikation „Systematic review of economic evaluations for internet- and mobile-based interventions for mental health problems" im Journal „Digital Medicine"

Zur Homepage der Professur für Psychology & Digital Mental Health Care

 

Kontakt:

Fanny Kählke
Professur für Psychology & Digital Mental Health Care
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München

Tel.: 089 289 24966
E-Mail: fanny.kaehlke(at)tum.de


Text: Bastian Daneyko
Fotos: "Digital Medicine"/privat