Stellen Sie sich vor, es ist Fußball-Weltmeisterschaft und niemand schaltet ein. „Ich werde die Spiele jedenfalls nicht im Fernsehen verfolgen – auch kein mögliches Finale Deutschland gegen Brasilien!“ Das erklärte Prof. Dr. Michael Schaffrath im Gespräch bei SR2-Kulturradio am 27.Oktober 2022 in der Sendung „Medien – Cross und Quer“. In dem rund 16-minütigen Interview mit den Moderatoren Thomas Bimesdörfer und Michael Meyer bezog der Leiter des Arbeitsbereichs für Medien und Kommunikation Stellung zur Rolle der FIFA, den Menschenrechtsverletzungen in Katar, der Bedeutung der Pressefreiheit sowie der grundsätzlichen Perspektive von Ausrichtung und Übertragung sportlicher Großereignisse.
„Die WM in Katar wird die Beste aller Zeiten“. Diese Aussage von FIFA-Boss Gianni Infantino sieht Prof. Schaffrath kritisch: „Ich habe erhebliche Zweifel daran. Wir reden von massiven Menschenrechtsverletzungen in Katar. Laut Amnesty International sind beim Bau der Stadien rund 15.000 Menschen gestorben – laut FIFA-Bericht gerade einmal drei. Gastarbeiter konnten das Land nicht verlassen, lebten unter menschenverachtenden, ausbeuterischen Bedingungen. Auch der Umgang mit queeren Personen ist äußerst heikel.“
Doch nicht nur die Situation um die Menschen in Katar sind für den habilitierten Kommunikationswissenschaftler besorgniserregend. Beim Thema Pressefreiheit verweist er auf die anstehenden Schwierigkeiten für alle Medienvertreter vor Ort, ihren normativen, journalistischen Aufgaben nachzugehen. „Die Berichterstattung in Katar wird unfrei sein. Journalist_innen ist es beispielsweise untersagt, in Privatwohnungen zu filmen oder öffentliche Gebäude aufzunehmen. Dies müssen sie vorab unterzeichnen, sonst erhalten sie keine Akkreditierung. Es ist ebenfalls damit zu rechnen, dass Medienvertreter_innen einer intensiven digitalen Überwachung unterliegen. Katar steht nicht umsonst auf Platz 119 der Rangliste zur Pressefreiheit.“
Neben den presserechtlichen Problemen übt Schaffrath auch grundsätzliche Kritik an der FIFA. „Die Begleitumstände der Vergabe der Weltmeisterschaft an Katar sind bestückt mit Vorwürfen von Korruption und Bestechung. Der Fußball-Weltverband kalkuliert mit 6,5 Milliarden Euro Überschuss – es geht augenscheinlich nur noch um Gewinnmaximierung.“
Der Leiter des Arbeitsbereichs für Medien und Kommunikation hofft bei künftigen Großereignissen wie Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen auf ein mögliches Umdenken bei der FIFA oder dem IOC. „Die Verbände müssen sich lösen vom massiven Bestreben nach Gewinnmaximierungen. Es müssten Werte wie Ökologie, Nachhaltigkeit und Bescheidenheit wieder in den Vordergrund rücken.“ Hoffnung machen Schaffrath die kommenden Turniere wie die Olympischen Sommerspiele in Paris 2024, die Olympischen Winterspiele 2026 in Mailand oder die nächste Weltmeisterschaft 2026 in den USA, Kanada und Mexiko. Im Unterschied zu Katar haben diese Länder laut Schaffrath drei zentrale Vorteile: Sie besitzen große Erfahrungswerte in der Ausrichtung solcher Veranstaltungen, die bereits vorhandene Infrastruktur macht viele Neubauten überflüssig und in den genannten Ländern herrscht Pressefreiheit.
Ob die aktuelle Weltmeisterschaft nun ganz an ihm vorbeigeht, wollten die Moderatoren schließlich noch wissen. Ganz darauf verzichten wird Schaffrath nicht: „Ich werde mir die Spiele im Radio anhören und die Printberichterstattung nachlesen. Aber ich werde keine Bewegtbilder im Fernsehen anschauen, weil einer der größten Einnahmeposten im internationalen Fußball die TV-Lizenz-Gebühren sind.“
Zum Interview in der ARD-Audiothek
Text: Bastian Daneyko
Foto: Privat