Von Übergewichtsepidemie, Zuckerwürfeln und Proteomics - 54. Atmungs- und Leistungsphysiologische Arbeitstagung
Sport- und Gesundheitswissenschaften, W00BBR-newscat-exercisebiology |
Den Auftakt zu der Veranstaltung am Freitag machte Prof. Dr. Steinacker von der Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin des Universitätsklinikum Ulm. Er zeigte auf, wie unsere Gesellschaft auf ein großes gesundheitliches Problem hinsteuert. „Unsere Zukunft wird von Übergewicht und Diabetes geprägt sein!“. Aus diesem Grund ist es wichtig die körperliche Bewegung als Medizin einzusetzen. „Eben dieses Training sollte aber idealerweise unter Aufsicht von erfahrenen Trainern sein“, so der Sportwissenschaftler Waldemar Schulz (Sektion Sport- und Rehabilitationsmedizin Uni Ulm), denn nur so kann langfristig der positive Effekt von Training erhalten werden. Darüber gibt es immer mehr Evidenz, dass Sport anti-Krebseffekte hat (Dr. Alexander Bizjak), wobei hier die Forschung zu den anti-Krebs-Mechanismen noch in den Anfängen steckt.
Da sich sehr viele Effekte des Sports auf zellulärer Ebene abspielen, arbeiten viele Forscher daran die molekularen Mechanismen der Anpassung an Belastungsreize zu entschlüsseln. Hierbei spielen u.a. die Sauerstoffversorgung der Gewebe und Zellen, aber auch der Metabolismus eine große Rolle. Dr. Andreas Petry (Deutsches Herzzentrum München) hat in diesem Zusammenhang gezeigt, wie unsere Sauerstoffsensoren im Körper mit der Entwicklung des Lungen-Bluthochdrucks zusammenhängen. Daniela Schranner (Doktorandin, Sportbiologie TU München) hat an hochtrainierten 400 m Läufern, Triathleten und Natural Bodybuildern untersucht, ob sich die physiologisch extremen Enzymaktivitäten der Athleten auch in den Konzentrationen von über 200 Metaboliten im Blut widerspiegeln. Die Studie zeigt, dass die Metabolitenkonzentrationen im Blut sehr individuell sind. Letztlich dienen diese Ergebnisse dazu neue Biomarker zu identifizieren, die zum Beispiel voraussagen, wie stark sich die Leistung oder Gesundheit bei sportlichem Training verbessert.
Nachdem unsere Muskulatur das größte Organ in unserem Körper darstellt, ist es hier auch wichtig zu wissen, wie sie im Detail funktioniert, denn nur so kann man das gesamte positive Potential für die Prävention von Erkrankungen ausnutzen. Aus diesem Grund stand der zweite Tag der Tagung ganz im Zeichen der aktuellen Muskelforschung. Durch die englischsprachigen Vorträge war auch unseren internationalen Referenten und Gästen eine interessante Plattform geboten. Als Keynote-Speakerin zeigte Dr. Martha Murgia vom Max-Planck-Institut für Biochemie in München dass heute mit Laserdissektion und Massenspektrometrie »5000 Proteine in einer einzelnen Muskelfaser gemessen werden können. Diese Ergebnisse ermöglichen uns nun zu erforschen wie Training, Ernährung, Altern oder Muskelkrankheiten unsere schnellen und langsamen Muskelfasern verändert.
Wir haben in unserem Körper etwa 5 g Glukose, was etwa einem Zuckerwürfel entspricht. Schaffen wir es nicht diesen Wert zu regulieren, erhöht sich dieser und wir leiden an Diabetes. Das liegt aber nicht nur am fehlenden Insulin. Sander Verbrugge (Doktorand, Sportbiologie, TU München) hat aus diesem Grund die Genetik der Glukoseaufnahme in die Muskulatur in einer systematischen Literaturanalyse zusammengefasst. Hierbei hat er über 80 Gene gefunden, die die Glukoseaufnahme der Muskulatur beeinflussen. Neben verschiedenen Genen und Insulin erhöht aber auch Sport zu einem sehr großen Anteil die Glukoseaufnahme in den Muskel. Dr. Maximilian Kleinert (Institute for Diabetes and Obesity, Helmholtz Zentrum Munich) hat hier einen Mechanismus erforscht über die Sport die Glukoseaufnahme erhöht. Um aber dieses Potential auch auf molekularer Ebene voll auszuschöpfen, ist laut Prof. Sebastian Gehlert (University of Hildesheim, Institute of Sports Sciences Bioscience of Sports) ein Mindestmaß an Belastung erforderlich. Aber wie heißt es so schön: „Ohne Fleiß, kein Preis!“ - Und dass die muskuläre Adaptation an Training auch bis ins hohe Alter von 103 Jahren mögliche ist, zeigt die Pilot-Studie von PhD Esther Mende (Lehrstuhls für Präventive und Rehabilitative Sportmedizin). Die Integration von täglichem systematischen Krafttraining bis ins hohe Alter wird aktuell in zwei Altenheimen erprobt und soll zukünftig auf bis zu 20 Zentren im Münchner Großraum erweitert werden. „Aber Muskelmasse ist nicht alles!“, so Prof. Stephan Kröger (Biomedical Center Ludwig-Maximilians-Universität). Insbesondere auch in hohem Alter ist es wichtig in Hinblick auf die Sturzprofilaxe und Gelenksstabilität auch die neuromuskuläre Ansteuerung bzw. das Feedback über die Muskelspindeln zu trainieren, denn nur so entwickeln wir ein „Gespür für Bewegung“. Doch wie uns der Leistungssport zeigt, ist auch ein „Zuviel an Bewegung“ ungesund und führt bei vielen Sportarten zu muskulären Problemen (Dr. Philipp Baumert, Sportbiologie, TU München).
Aber was wäre unsere Muskulatur ohne die Versorgung über unser Blut, welches zum einen die erforderlichen Nährstoffe anliefert aber auch überschüssige Wärme abtransportiert. Gerade die Leichtathletik WM in Doha hat gezeigt, dass die Thermoregulation eine wichtige Komponente der sportlichen Leistungsfähigkeit darstellt. Und somit spielen auch die Messung der Körpertemperatur als auch die Akklimatisation eine wichtige Rolle (Melanie Baldinger, cosuniss° in Kooperation mit TU München), die nicht erst im Wettkampf, sondern auch schon im Training beachtet werden sollten. Wie aber die Muskulatur ihre eigene Durchblutung steuert und beeinflussen kann, ist auf molekularer Ebene noch nicht ganz geklärt (Jan Friedrich, Medizinische Hochschule Hannover). Gesichert ist aber, dass unsere Sauerstofftransportkapazität im Blut stark abhängig von hormonellen Schwankungen ist. Insbesondere in der Pubertät unterliegt die Zusammensetzung einem starken Einfluss des Testosterons, was bei den Jungen zu einem Anstieg der Hämoglobinmasse führt (Prof. Walter Schmidt; Universität Bayreuth).
Es gibt auf der Welt Volksgruppen mit einer besonderen Leistungsfähigkeit wie die Sherpas, die Talent zum Höhenbergsteigen besitzen und die ostafrikanischen Kalenjin, die oft Talent für Langstreckenlauf besitzen. Weniger bekannt sind die Tarahumara in Mexiko, die Talent für Ultralangstreckenläufe besitzen und wo Ultralangstreckenläufe Teil der Kultur sind. Prof. Dieter Böning berichtete im Abschlussvortrag der Tagung über die Sportkultur der Tarahumara und über deren besondere Physiologie. Aber er hat auch gezeigt, dass wenn man den Tarahumara das „Laufen nimmt“, zeigen auch sie sehr schnell in die Problematik der „westlichen Welt“ mit den bekannten Problemen der Überernährung und „Unterbewegung“.
Zusammenfassend war die 54. Atmungs- und leistungsphysiologische Arbeitstagung ein Gemisch von klassischer Physiologie und molekularen Mechanismen zu den Überthemen „Sport und Gesundheit“ sowie der Muskulatur als einem Organ der sportlichen Leistung, das für die Gesundheit und gesundes Altern essentiell ist. Diese Interdisziplinarität hat unserer Meinung nach sehr gut funktioniert. Prof. Norbert Maassen, der Initiator der Tagung, hat schon verlauten lassen, dass die nächste Tagung im kommenden Jahr möglicherweise an der Universität Hildesheim stattfinden wird.