Die European Championships sollen ein Event für Alle sein. Aber stimmt das auch?
Ich als gebürtige Münchnerin möchte so viel wie möglich von den Europameisterschaften in meiner Heimatstadt mitbekommen. Viele Veranstaltungen werden von Haus aus kostenlos angeboten, einige sind nur mit Ticket zugänglich. Als Studentin sind mir diese aber schlichtweg zu teuer. Ich habe alle Veranstaltungsorte besucht und getestet, wo sich der Besuch auch ohne Ticket gelohnt hat.
Im ersten Teil meiner Reportage geht es um das Drumherum, also um alle Standorte außerhalb des Olympiaparks.
Meine Reportage nimmt ihren Anfang auf dem Königsplatz. Immer wieder fliegt mir vereinzelt Staub in die Augen, während ich nach oben schaue. Hoch zu dem Kletterer, der gerade über dem Vorsprung hängt und seine Arme baumeln lässt, bevor er wieder in das kleine Säckchen mit dem Magnesiumpulver greift. Im Sonnenlicht sieht man, wie die Reste von seiner Hand rieseln und langsam mit dem Wind über das Publikum getragen werden. Beim Fotos schießen merke ich, dass auch der Handybildschirm von einer dünnen Schicht Puder bedeckt ist. Das Zeug ist wirklich überall.
Es fühlt sich an, als wäre ich mittendrin und irgendwie bin ich das ja auch. Freitagnachmittag, direkt am Königsplatz, bei der Lead-Qualifikation der Männer. Immer wieder schaue ich auch zur anderen Kletterwand, an der gerade die Britinnen versuchen, sich fürs Bouldern zu qualifizieren. Die obersten Griffe sehen aus wie viel zu große Smarties, die in der Mitte halbiert und an die Wand gebohrt wurden. Sie sind teilweise so klein und flach, dass die Athletinnen sich mit den Nägeln daran festkrallen müssen. Gerade deswegen wird jeder Handgriff und jeder Schritt mit Applaus kommentiert.
Dafür, dass bei den Qualifikationen im Bouldern und Lead freier Eintritt ist, hätte ich mit mehr Ansturm gerechnet. Durch den Einlass komme ich auf eine große Stehplatzfläche, die sich von den Kletterwänden bis zur Zuschauertribüne erstreckt. Manche Gäste sitzen am Boden auf Decken und Beobachten das Geschehen aus der Weite, andere schauen sich das Spektakel direkt vor den Wänden an. Trotzdem ist überall noch sehr viel Platz. Vielleicht liegt es auch an der Hitze, denn der gesamte Bereich wird von der Sonne erfasst. Neben mir steht eine Gruppe, die schon länger da sein muss, denn jeder von ihnen hat einen starken Sonnenbrand.
Über zwei Stunden beobachte ich, wie die Kletterer mit Magnesium und Seil bewaffnet die Wand erklimmen. Nur wenige schaffen es bis ganz nach oben an den Top-Griff. Trotzdem ist jeder Anstieg mindestens genauso spannend wie der davor. Die Stimmung im Publikum ist überragend. Für jedes überwundene Hindernis ernten die Athleten Applaus und wenn es auf die letzten Meter zugeht, tobt die Menge. Auch die Kollegen der Athleten fiebern zwischen den Zuschauer_innen von unten mit. Teilweise erkenne ich sie an ihren Trikots oder den fremdsprachigen Zurufen, meistens aber an ihren weißen Händen oder Rucksäcken, die vom Magnesium weiß verschmiert sind.
Inzwischen habe ich mir aus meiner Jacke eine Kopfbedeckung gebastelt, denn es ist einfach zu heiß. Mit der Zeit merke ich auch das lange Stehen in den Beinen. Es ist aber einfach zu spannend, um schon früher zu gehen. So erlebe ich bis zum Schluss Nachwuchstalente, Europa- und Weltmeister des Kletterns hautnah.
Nachdem die Qualifikation geendet ist, führt mich mein Weg raus aus der Kletterwelt, rein in den schattigen, kleinen Park hinter der Glyptothek. Dort wurde im Rahmen des "The Roofs" Festivals das Multicolour Roof errichtet - eine gute Anlaufstelle für alle, die sich nach der andauernden Hitze des Tages abkühlen wollen. Während sich auf der einen Seite ein schöner Biergarten unter riesigen Kastanien befindet, sind auf der anderen Seite Zelte aufgebaut, in denen den ganzen Tag kostenlose Workshops gegeben werden. Vom Malen bis zum Yoga finden Kreative und Freigeister hier eine kleine Auszeit.
Auch Beachvolleyball kann man vom Königsplatz aus beobachten. Bei den Gruppenspielen gibt es teilweise freien Einlass nach dem ,,first come first served‘‘-Prinzip. Leider komme ich aber zu spät und kann mir keinen Platz mehr im Inneren sichern. Der Center Court sieht aus wie eine blaue Festung, an der auf jeder Seite die Zuschauertribünen hochragen. Von draußen habe ich keine Chance, zu sehen, was im Inneren passiert. Nur an den Reaktionen der Zuschauer_innen kann ich abschätzen, ob es ein guter oder schlechter Spielzug ist. Welches Team gerade die Oberhand hat, kann ich dadurch aber nicht herausfinden. Bei den drei anderen Courts habe ich mehr Glück. Sie liegen direkt neben und hinter der Glyptothek. Auf ihren Marmorstufen habe ich freie Sicht auf die Sandplätze neben dem Center Court und kann so das Spielgeschehen miterleben. Das Innere des anderen Courts kann ich durch die transparenten, dunkelblauen Planen, die an den Zäunen entlang gespannt sind, beobachten. Da viele Partien zeitgleich ausgetragen werden, wechsle ich öfter den Standort, um mehrere Spiele parallel anzusehen. So bekomme auch ich ohne Ticket von allen Partien die Highlights mit.
Vom Königsplatz kommt man mit der U2 direkt zur Messe München. Dort finden alle Wettkämpfe rund um den Bahnradsport statt. Nach einem viel zu langen Tag merke ich schon in der U-Bahn, dass meine Beine träge sind und sich heute eigentlich nicht mehr bewegen wollen. Weit muss ich zum Glück nicht gehen, ist ja direkt in der Messe. Naja, dachte ich zumindest. Am Haupteingang der Messe angekommen, sehe ich erstmal: nichts. Keine Spur eines Bahnrad-Events. Ein Wegweiser schickt mich einen viel zu langen Weg weiter an dem Messegebäude vorbei. Nach mehreren Minuten schwerer Schritte kommt mir ein Volunteer, mit breitem Grinsen, auf einem Golfkart entgegen. Er sieht aus, als hätte er richtig Spaß, mit dem kleinen Wagen durch die Gegend zu düsen. Wie gerne würde ich jetzt auch in diesem Wagen sitzen. Der weitere Gang zu der Veranstaltung ist trister als trist. Alles grau, nur Beton und die Sonne ist auch hinter den dunklen Wolken verschwunden.
Als ich endlich vor der Bahnrad-Halle angekommen bin, höre ich dumpf das Klatschen des Publikums und die Stimme des Moderators durch das Innere des Gebäudes hallen. An der Tür klebt ein Plakat für die Ticketpreise. "Sold Out" wurde in großen roten Buchstaben darüber geklebt. Anscheinend ist die Halle voll, aber von außen kann ich leider nichts davon sehen.
Mir wird langsam bewusst, dass ich den ganzen Weg umsonst gegangen bin und nun wieder zurück muss. Nachdem ich mich zum Gehen umdrehe, sehe ich den Volunteer in seinem Golfkart. Er kommt auf den Eingang zugerollt und lädt einen seiner Kollegen ins Auto ein. Es gibt sechs Sitze und nur zwei davon sind belegt. Wäre doch eine Verschwendung, wenn er mit halbleerem Wagen losfährt. Da niemand mehr vor dem Eingang steht, frage ich kurz entschlossen, ob ich mitfahren darf. ,,Na klar, steig ein!‘‘, antwortet er. Überglücklich springe ich auf einen der leeren Plätze und mache mich auf dem Sitz breit. "Ganz schön viel los, die haben heute alle Tickets leer gekauft" unterhalten sich die beiden kurz während der Fahrt. Auf dem Weg zur U-Bahn-Station greifen wir noch ein Pärchen auf, die den ganzen Tag in der Halle waren und auch ziemlich müde aussehen. Er fährt uns direkt vor die Rolltreppe, die den Bahnsteig hinunterführt - damit wir auch wirklich keinen Zentimeter mehr zu viel gehen müssen. Wenn er könnte, hätte er uns wahrscheinlich direkt in der U-Bahn abgesetzt.
Mehr als meine mühsamen Meter zur Messe München müssen die Männer im Straßenradrennen zurücklegen. Wenn sie am Odeonsplatz durchs Ziel fahren, haben sie über 200 Kilometer hinter sich. Ich stelle mich zuerst auf einem Abschnitt in der Innenstadt an die Strecke. Es sind eine Menge Leute um mich herum, die alle gespannt darauf warten, dass die Radfahrer vorbeifahren. Dicht an dicht stehen wir gegen den Zaun gedrückt. Alle Straßen sind wie leergefegt. Keine Autos, keine Fußgänger_innen, die sich durch den stehenden Verkehr schlängeln, und keine Motorräder in Sicht.
Ich schaue kurz auf die Uhr. Eigentlich sollten sie gleich hier vorbeikommen. Langsam wird die Menge unruhig. Plötzlich hört man von weitem doch das Geräusch eines entfernten Motors und den aufkommenden Jubel der Zuschauer_innen. Die Jubelschreie kommen immer näher und dann ist es auch schon so weit. Die ersten zwei Radfahrer, gefolgt von einem Motorrad, stürmen an uns vorbei. Das Ganze geht so schnell, dass ich es gar nicht richtig realisiere. Kurz darauf höre ich den nächsten Jubel und entdecke die nächste Traube von Fahrern, die an mir vorbei zischen.
Danach mache ich mich direkt auf den Weg zum Odeonsplatz, denn ich möchte rechtzeitig dort sein, um den Zieleinlauf zu sehen. Die extra aufgebaute Tribüne am Odeonsplatz scheint ziemlich voll zu sein, aber ich schaffe es trotzdem, mir einen Platz in den ersten Reihen zu ergattern. Es ist wahnsinnig laut hier. Die Temperatur sorgt für einen hohen Alkoholkonsum und somit eine ausgelassene Stimmung. Im Livestream auf dem Handy beobachte ich, wie die Radfahrer durch die Innenstadt an sämtlichen Sehenswürdigkeiten vorbeiradeln und dem Ziel langsam immer näherkommen. Kurz vor dem Zielendspurt erreicht die Stimmung der Menge ihren Höhepunkt. Alle klatschen und zelebrieren das Ankommen des Siegers, aber auch die nachfolgenden Fahrer werden mit gebührendem Applaus durchs Ziel getragen und gefeiert.
Relativ weit von der Innenstadt entfernt liegt die Rudi-Sedlmayer-Halle. Nachdem mein Arbeitsweg mich aber sowieso an ihr vorbeiführt, statte ich dieser spontan einen Besuch ab. Hier werden die Wettkämpfe im Tischtennis abgehalten und ich hatte die Hoffnung, dass man vielleicht von außen irgendetwas beobachten kann. Anscheinend habe ich von den anderen Veranstaltungen nichts dazu gelernt, denn ähnlich wie beim Bahnradsport sieht man auch hier von außen: gar nichts. Das Einzige, was heraussticht, ist der riesige Tischtennisball, der im Wind baumelnd an einem Kran herunterhängt. Das war es dann aber auch schon vom Tischtennis.
Dagegen kommt auf der Olympia-Regattaanlage in Oberschleißheim Urlaubsfeeling auf. Neben der Strecke befindet sich das Golden Beach Roof, samt Sandstrand und Hängematten. Das Rudern und den Kanu-Rennsport kann man auch gut ohne Ticket beobachten, denn über eine Treppe kommt man auf den Kiesweg direkt über der Strecke. Von hier aus sehe ich zwar nicht so gut wie auf der Tribüne, aber ich kann mich bequem auf die Wiese setzen und in der Sonne das Spektakel genießen. Auf der anderen Seite des Wassers haben sich auch einige Besucher_innen Decken mitgebracht und schauen sich ganz entspannt die Wettrennen an. Wenn ich eine kleine Abkühlung benötige, hole ich mir ein kühles Getränk, setze mich in den Schatten und stecke meine Füße in den Sand.
Alternativ lege ich mich in eine der aufgebauten Hängematten und blicke in den wolkenlosen, blauen Himmel hoch. Es fühlt sich gut, bei einem leichten Schaukeln die Kastanienblättern über mir im Wind tanzen zu sehen.
Hier geht's zu Teil zwei der Reportage.
Text: Laura Kimpfbeck
Fotos: Laura Kimpfbeck & Simon Sandig