Seit 2003 ist Prof. Dr. Martin Halle Ordinarius und Ärztlicher Direktor des Lehrstuhls für Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie am Klinikum rechts der Isar der TUM. Zwischen 2013 und 2016 war er zudem Prodekan der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften. Von 2020 bis 2022 fungierte er als Prodekan Lehre der Fakultät Medizin. In diesem Jahr feiert Prof. Halle nun „20 Jahre Sportmedizin und Sportkardiologie“ in München. Dazu findet am 21. Oktober 2023 ein Symposium am TUM Campus im Olympiapark mit einem wissenschaftlich anspruchsvollen, aber zugleich auch unterhaltsamen Programm statt.
Der Arbeitsbereich für Medien und Kommunikation hat Herrn Prof. Halle im Vorfeld zum Interview getroffen. Darin spricht der Sportkardiologe über seine Anfangszeit an der TUM, seine Highlights der letzten 20 Jahre und seine Wünsche für die Zukunft.
Lieber Herr Prof. Halle, erst einmal herzlichen Glückwunsch zu 20 Jahren Sportmedizin und Sportkardiologie an der TUM! Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
Prof. Dr. Martin Halle: „In den 20 Jahren hat sich extrem viel verändert. Die TUM ist zu einer besonders herausragenden Universität gewachsen. Die Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften hat durchaus Phasen oder gar Täler durchlaufen, in denen unklar war, ob die Themen Sport und Gesundheit als Fakultät überhaupt verlängert werden und im Kanon der TUM bleiben. Die Entwicklung hin zur TUM School of Medicine and Health wird zwar vielleicht von dem ein oder anderen kritisch gesehen, aber insgesamt ist das – global betrachtet – ein Meilenstein, vor allem für die Bereiche Sport, Gesundheit und Prävention. Diese an einer Universität zu verankern, zeugt von sehr viel Weitblick. Wir begreifen nun in der Gesellschaft, der Wissenschaft und der Politik, dass Prävention ein wichtiger Teil unserer medizinischen Versorgung ist und integrativ dazu gehört. Ich bin 2003 auch angetreten, um den Bereich der Prävention weiterzutragen. Ich habe einige Aspekte umsetzen können, die ich mir am Anfang gar nicht vorgestellt oder erträumt hätte.“
Wie war Ihre Anfangszeit an der TUM?
Prof. Dr. Martin Halle: „Die erste Herausforderung direkt zu Beginn war, dass ich eine gewisse Vorstellung von der Versorgung bzw. der Umsetzung einer Ambulanz hatte. Wenn man in der Medizin verankert ist, muss man eine Abteilung wirtschaftlich aufstellen, sonst kann man sie nicht langfristig führen. Das ist eine Besonderheit der Medizin im Vergleich zu anderen Bereichen der Hochschule. In der Connollystraße waren die Räumlichkeiten eine echte Herausforderung. Insofern habe ich mit dem ‚Startgeld‘ der TUM erst einmal eine attraktive Ambulanz aufgebaut und Personal gewonnen, das fachlich über den Rand hinaus wirken konnte. Ich hatte großes Glück, dass unter anderem Bernd Wolfarth, Arno Schmidt-Trucksäss und Christa Bongarth als damalige Oberärzte mitgekommen sind und mich unterstützt haben. Alle drei sind mittlerweile als Lehrstuhlinhaber für Sportmedizin an den Universitäten Berlin und Basel oder als Ärztliche Direktorin an der Rehabilitationsklinik in Höhenried tätig.“
Wie hat sich Ihr Lehrstuhl im weiteren Verlauf entwickelt?
„Es hat etwa fünf bis sechs Jahre gedauert, bis ich mich dem Forschungsbereich widmen konnte. Dann ist die Idee gewachsen, über die Ansätze von derzeitigen Studien hinauszugehen und auch Projekte zu initiieren, die in gewisser Weise der Ausrichtung von pharmakologischen Studien entsprechen. Also randomisierte, kontrollierte Studien nicht nur mit 100 Patient_innen oder weniger durchzuführen, sondern den Sprung zu Stichprobengrößen von 1.000 Patient_innen sowie Multicenter- und internationalen Studien zu schaffen. Bei Studien zu körperlichem Training bei Herzinsuffizienz sind wir mittlerweile sicherlich weltweit führend. Und unsere Studie zu Training bei der Dialyse mit 1.000 Patient_innen, die randomisiert worden sind, ist die drittgrößte überhaupt zu körperlichem Training in der Medizin.“
Wie kann die Zusammenarbeit der Medizin und den Sport- und Gesundheitswissenschaften in der neuen TUM School of Medicine and Health in Zukunft funktionieren?
Prof. Dr. Martin Halle: „Es wird notwendig sein, in zwei Richtungen zu gehen. Die erste Richtung ist die enge Andockung von Sport und Gesundheit an die Klinik. Wir müssen ein bewegtes Krankenhaus etablieren, also Bewegung in Therapiestrategien für Patient_innen im Krankenhaus und jenseits des Krankenhauses aufnehmen. Die zweite Richtung ist der mehr gesellschaftlich präventive Aspekt von Gesundheit mit den Themenfeldern Bewegung, Ernährung und IT-unterstützten Interventionen. Unsere Expertise liegt an der Schnittstelle zwischen Medizin sowie Sport und Gesundheit. Das betrifft das Training, die Ernährung, aber auch die Psyche von Patient_innen. Das ist zwar extrem herausfordernd, liegt meines Erachtens aber auf der Hand. Wir als TUM können in naher Zukunft nicht nur in Deutschland, sondern weltweit führend werden. Dazu braucht es internationale Wissenschaftler_innen, die durch Leuchtturmprofessuren berufen werden. Wir brauchen weitere Forschungsbauten im Olympiagelände, um diese Wissenschaftler_innen wirken zu lassen. Wir haben das Potential mit vielen guten Leuten, sind aber erst am absoluten Anfang. Es bedarf jetzt der strukturierten Weiterentwicklung und Zusammenführung der beiden Bereiche.“
Was waren Ihre persönlichen Highlights der letzten 20 Jahre?
Prof. Dr. Martin Halle: „Was mir als Erstes in den Sinn kommt, ist meine Aktion ‚Lauf10!‘ im Bayerischen Fernsehen, die jetzt bereits im sechzehnten Jahr stattfindet. Sie hat gezeigt hat, dass man auch als Universitätsprofessor Öffentlichkeitsarbeit machen und mit den Medien zusammenarbeiten kann. Man braucht die Medien, um diese Themen in die Bevölkerung zu transportieren. Das Zweite, worauf ich stolz bin, ist meine Forschung mit großen Studien und einer Drittmittelakquise von ca. zehn Millionen Euro über die letzten fünf Jahre. Das ist eine Hausnummer, die ich mir nie hätte vorstellen können. Dafür braucht man aber auch ein gutes Team, um diese Projekte und Studien umzusetzen. Das dritte Highlight ist, dass ich den Bereich präventive Kardiologie und Sportkardiologie zuletzt als Präsident der Europäischen Gesellschaft vor allem in Deutschland und Europa sicherlich maßgeblich mitaufgebaut habe. In München sind wir mittlerweile diejenigen, die Sportkardiologie als führendes Zentrum vertreten.“
Was wünschen Sie sich für die nächsten Jahre?
Prof. Dr. Martin Halle: „Mein Ziel ist, die nächste Generation zu fördern und in alles einzubinden, was ich gemacht habe. Ich versuche, das Wissen, das ich habe, weiterzugeben und unsere Projekte stetig weiterzuentwickeln. Manche Ergebnisse werde ich selbst nicht mehr oder vielleicht auch nur in Ansätzen erleben. Ich möchte aber noch einige Projekte anstoßen und auf den Weg bringen, von denen ich überzeugt bin, dass sie gut und richtig sind. Immer mal wieder Dogmen aufzubrechen, kommt meiner Meinung nach zu kurz. Es ist nötig, zu neuem Denken anzuregen und bewusst zu machen, dass kein_e Patient_in zu alt oder zu krank ist, um körperliches Training in die Therapie zu integrieren. Wir müssen realisieren, dass wir in unserem aktuellen Gesundheitssystem langlebig Kranke produzieren – und nicht langlebig Gesunde.“
Wodurch halten Sie sich selbst fit?
Prof. Dr. Martin Halle: „Ich fahre in München alles mit dem Fahrrad, auch, wenn ich ans Klinikum rechts der Isar und zurück pendle. Außerdem habe ich hier bei mir im Zimmer und in der Abteilung Fitnessgeräte stehen, die ich zwischendurch nutze. Gemeinsam mit meinen Sportwissenschaftler_innen absolviere ich 15 Minuten pro Tag ein Kraft-Fitness-Training, zu dem ich immer eine_n andere_n Mitarbeiter_in mitnehme. Sie lernen mich dabei auch auf eine andere Art und Weise kennen, wenn man mal zusammen Sport gemacht hat. Es ist wichtig, zu verstehen, dass man Sport im Alltag für die Kommunikation innerhalb einer Abteilung oder eines Unternehmens wie der TUM nutzen kann. Wir sollten das regelmäßig anwenden. Es geht zudem darum, Zeit für die sportlichen Gelegenheiten zur Erhaltung der Fitness in den Tagesablauf zu integrieren.“
Am 21. Oktober findet der Kongress „20 Jahre Sportmedizin und Sportkardiologie“ statt – worauf können sich Teilnehmer_innen freuen?
Prof. Dr. Martin Halle: „Die Hauptthemen sind Sportmedizin und Sportkardiologie. Es wird also um Herzerkrankungen, um alte Menschen, Dialyse- und Tumorpatient_innen oder auch Diabetes gehen. Wir behandeln ein breites Spektrum zu der Frage, wie man Sport als Medizin integrieren kann. Es wird kein normaler Kongress, den man so schon erlebt hat. Im großen Hörsaal wird es in den Pausen musikalische und sportliche Einheiten geben. Es werden medizinische Fälle vorgestellt, über die drei bis vier Expert_innen in einer Diskussionsrunde sprechen, bei der sich die Zuhörer_innen aktiv in Form von Fragen, einem TED oder via Slido einbringen können. Dazu wird es ‚Battles‘ mit Pro- und Contra-Vorträgen zu strittigen Themen geben, um anschließend gemeinsam zu diskutieren, wer die besseren Argumente hat. Und es wird ein ‚Science Slam‘ stattfinden, bei dem wir in kurzen Sequenzen von fünf Minuten eine Art ‚Battle‘ von Professor_innen und einer anschließenden Abstimmung erleben dürfen. Es ist also für jede_n etwas dabei, der bzw. die sich für Sport und Medizin interessiert. Am Abend werden wir dann gemeinsam mit nationalen und internationalen Kolleg_innen und Freund_innen die letzten 20 Jahre Revue passieren zu lassen.“
Vielen Dank für das Gespräch!
Zur Anmeldung zum Kongress „20 Jahre Sportmedizin und Sportkardiologie“
Zum Programm des Kongresses „20 Jahre Sportmedizin und Sportkardiologie“
Zur Homepage des Lehrstuhls für Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie
Kontakt:
Prof. Dr. Martin Halle
Lehrstuhl für Präventive Sportmedizin und Sportkardiologie
Georg-Brauchle-Ring 56 (Campus C)
80992 München
Tel.: 089 289 24441
E-Mail: sportmed(at)mri.tum.de
Text: Romy Schwaiger
Foto: privat