Die juvenile idiopathische Arthritis (JIA) ist die häufigste chronisch-rheumatische Erkrankung bei Kindern und Jugendlichen, die sich bereits vor dem 16. Lebensjahr manifestiert. Knapp 15.000 Menschen in Deutschland sind hiervon betroffen. Symptome äußern sich in starken Gelenkentzündungen, Schwellungen oder Überwärmungen, die letztlich zu Schonhaltungen oder Bewegungseinschränkungen führen können.
Die ärztliche Empfehlung lautet aus Sorge vor einer unkontrollierten Krankheitsverschlechterung zumeist, Belastungen durch sportliche Aktivität zu vermeiden. Dadurch erhöht sich das Risiko eines chronischen Bewegungsmangels mit entsprechenden Folgeerkrankungen.
Prof. Dr. Ansgar Schwirtz, Leiter der Professur für Biomechanik im Sport, die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Dr. Josephine Gizik und Nadja Baumeister sowie Mitarbeiter_innen des Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendrheumatologie (DZKJR) wollen mit dem Projekt „Rhe-Turn – E-Monitoring zur Steigerung der Therapiequalität und funktionellen Kapazität bei jungen Rheumapatienten mit hoher Krankheitsaktivität“ eine Verbesserung der nachstationären Versorgung der rheumakranken Kinder und Jugendlichen im aktiven Krankheitsstadium mittels einer digitalgestützten Sportberatungs-Anwendung (RSK-Rhe-Turn) bewirken. Das dreijährige Vorhaben wird vom Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) mit einer Summe von rund 1,8 Millionen Euro gefördert, wobei 570.000 Euro auf die TUM entfallen.
„Mit einem weiteren Projekt, das durch den Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert wird, freuen wir uns, die Kinder und Jugendlichen mit Rheuma bereits in einer Krankheitsphase zum Sport zurückzubringen, in der bisher ein Sportverbot die Regel war. Biomechanische und leistungsdiagnostische Analysen sowie Befragungen und sportmedizinische Untersuchungen bilden die Basis für individuelle Empfehlungen, deren Umsetzung wir engmaschig am Heimatort digital begleiten können“, erläutert Projektleiter Prof. Schwirtz.
Um die körperliche Aktivität und Lebensqualität der Patient_innen zu steigern, wird eine kontrolliert randomisierte Studie mit Eingangs- und Abschlussuntersuchungen beim Projektpartner DZKJR sowie eine zwölf- bis 18-wöchige Intervention „zu Hause“ durchgeführt. „Wir schließen in unsere Studie Patient_innen mit einer hohen Erkrankungsaktivität ein. Das bedeutet chronisch Betroffene, die ein aktives Entzündungslevel und dementsprechend oft sportmotorische Defizite aufweisen. Anhand verschiedener Methoden, wie dem Fahrrad-Ergometrie-Test, einer 3D-Bewegungsanalyse, aber auch Beratungen und Befragungen, soll ein zielgerichtetes Sport-Programm für die Patient_innen erstellt werden, das diese von zu Hause aus durchführen können“, erläutert Dr. Gizik das Vorgehen. Um die notwendige Power zu erreichen, sind 185 Patient_innen für die Studienteilnahme geplant.
Eine der Herausforderungen ist der Alltag, wenn die Betroffenen nicht mehr im klinischen, sondern im gewohnten Umfeld agieren müssen: „Zuhause bereitet es den Patient_innen Mühe, sich richtig zu belasten. Auch die Möglichkeit, bei Therapeut_innen oder Ärzt_innen nachzufragen, entfällt. Dies führt zu Verunsicherungen, besonders, wenn sich die Krankheit zwischendurch verschlechtert. Dann stellt sich für die Patient_innen auch noch die Frage, ob an diesen Tagen das empfohlene Sportprogramm durchgeführt werden kann oder besser nicht“, fasst die wissenschaftliche Mitarbeiterin die Herausforderungen zusammen.
Dafür soll die von der TUM und DZKJR in Zusammenarbeit mit dem vom Konsortialpartner aQua und dem Dienstleister 4A-Side GmbH entwickelte App Abhilfe schaffen, um die Patient_innen auf einfachem Wege daheim zu betreuen. Neben dem E-Monitoring, Video-Sprechstunden und Patient_innen-Feedback kann auch das Sportprogramm individuell angepasst werden: „Die Erkrankten können über die App beispielsweise einzelne empfohlene Sportübungen oder zusammengestellte Sportprogramme einsehen und durchführen. Das bedeutet, die Kinder und Jugendlichen bekommen ein konkretes, auf die Erkrankung abgestimmtes Handlungsmaterial, wie sie sich bewegen dürfen. Zusätzlich soll über die App Feedback gegeben werden, zum Beispiel zum aktuellen Gesundheitszustand“, so Dr. Gizik.
Der Vorteil für die Patient_innen liege insbesondere darin, dass auf das Feedback sofort reagiert werden könne. „Über die App kann jederzeit eine Kommunikation mit uns stattfinden, wie zum Beispiel bei Bedarf für eine Video-Sprechstunde.“ Letztlich können durch das Patient_innen-Feedback immer wieder Anpassungen am Sportprogramm durchgeführt werden. Die Patient_innen erhalten eine direkte Rückkopplung, was an sportlicher Aktivität möglich ist oder eben nicht.
„Wir wollen mit dem Projekt Rhe-Turn erreichen, dass Patient_innen die nationalen Empfehlungen zur körperlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen erreichen. Das würde die Lebensqualität und sportliche Aktivität deutlich verbessern und kann bestenfalls sogar die langfristigen Kosten im Gesundheitssystem reduzieren“, erklärt Dr. Gizik.
Weitere Konsortialpartner_innen des Projekts sind: Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie (DZKJR) in Garmisch-Partenkirchen; aQua-Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen GmbH; Deutsches Rheuma-Forschungszentrum Berlin (DRFZ), die Deutsche Kinderrheuma-Stiftung sowie die Deutsche Rheuma-Liga.
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Kontakt:
Prof. Dr. Ansgar Schwirtz
Professur für Biomechanik im Sport
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24580
E-Mail: ansgar.schwirtz(at)tum.de
Dr. Josephine Gizik
Professur für Biomechanik im Sport
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24648
E-Mail: josephine.gizik(at)tum.de
Text: Bastian Daneyko
Fotos: GBA/privat