Die Schreib-Umschulung von linkshändigen Personen auf die nicht-dominante rechte Hand im Kindesalter war in Deutschland bis in die 1990er Jahre Normalität. Die „gute, rechte Hand“ sollte genutzt werden, doch die Umerziehung kann weitreichende Folgen für die betroffenen Personen haben. Der Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft untersuchte, inwieweit das Schreiben mit der eigentlich dominanten, linken Hand im Erwachsenenalter erlernt werden kann.
Grundlage der Studie war die von Prof. Dr. Joachim Hermsdörfer betreute Bachelor-Arbeit von Laura Stetter, die mittlerweile Master-Studentin in Health Science an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften ist. Den Datensatz lieferte die Psychologin Dr. Barbara Sattler, Gründerin der ersten deutschen Beratungs- und Informationsstelle für Linkshänder und umgeschulte Linkshänder, die die Studie zusammen mit Dr. Christian Marquardt initiierte. Die Ergebnisse wurden nun unter dem Titel „Handwriting kinematics during learning to write with the dominant left hand in converted left-handers“ im Journal „Scientific Reports" veröffentlicht.
Der Anteil an linkshändig schreibenden Personen in Deutschland variiert je nach Quelle, stieg jedoch in den letzten Jahren zusehends an. Dies liegt unter anderem daran, dass eine Umerziehung von Linkshänder_innen in Deutschland mittlerweile sogar strafbar sein kann. Denn die Umschulung kann sich negativ auf geistige Fähigkeiten, wie z. B. die Konzentration, die Belastbarkeit oder die Reaktionsfähigkeit auswirken.
„Die Besonderheit unsere Studie war die Dauer und Intensität des Trainings, das wir über einen langen Zeitraum individuell verfolgen konnten, und die Handschrift als die feinmotorische Fertigkeit von höchster Komplexität, die jede_r von uns lernt. Die Studie erweitert damit unser Wissen über die Lernfähigkeit das Menschen. Die Ergebnisse können übertragen werden auf Situationen, wenn z. B. durch Altern oder Erkrankungen Anpassungen oder neues Lernen notwendig werden.“
Zwei Jahre dauert das grafomotorische Trainingsprogramm von Dr. Sattler, bei der die Kinematik der Schreibbewegungen der (rückschulenden) Linkshänder_innen untersucht wurden. „Ich bin an das Thema Rückschulung auf die linke Hand mit großem Respekt herangegangen, auch weil ich sehr schnell bemerkt habe, dass automatisiertes Schreiben und gleichzeitige Ressourcen für das Denken freizustellen, bei vielen umgeschulten linkshändigen Menschen anfangs oft nicht funktioniert. Die Ergebnisse dieser wissenschaftlichen Studie bestätigen, dass auch automatisiertes Schreiben auf ein Bewegungsprogramm zurückgreifen muss, das Zeit zum Erlernen und Üben erfordert. Es sind nicht allein die Buchstaben und Worte, die wir kennen müssen, wir brauchen auch das automatisierte Bewegungsprogramm“, erläutert Sattler.
Die zwölf Teilnehmer_innen zwischen 20 und 50 Jahren durchliefen sieben Testungen und trafen sich einmal im Monat zur Kontrolle bei der Psychologin – zudem gab es eine Kontrollgruppe mit originären Linkshänder_innen. Die Anforderungen wurden sukzessive gesteigert. Zunächst bekamen die Proband_innen Basisaufgaben wie Kritzeln, Schraffieren, Kringeln und Nachspuren an die Hand. Die Ergebnisse dieser Anfangsübungen wurden ausgewertet. Dabei zeigte sich eine Steigerung der Schreibfrequenz beider Hände.
Nach knapp sechs Monaten befassten sich die Teilnehmer_innen mit der Verschriftung von komplexen Schreibaufgaben wie Sätzen und Texten – nach zwölf Monaten gelang es den meisten Proband_innen bereits, vollständige Texte zu verfassen und relativ automatisiert zu schreiben. Dabei zeigte sich, dass im Verlauf der Übungsphasen (nie länger als 20 Minuten pro Tag) die linke Hand immer näher an die Performance der rechten Hand heranreichte, jedoch nicht das Niveau der nicht-konvertierten linkshändigen Schreiber_innen erreichte.
„Dies kann unterschiedliche Gründe haben. Möglicherweise waren die zwei Jahre Zeit zu kurz, um eine genaue Angleichung herzustellen oder bestimmte Bereiche im Gehirn entwickeln sich anders, wenn man mit der anderen Hand schreibt. Natürlich spielt auch die altersbedingte Abnahme der motorischen Lernfähigkeit eine Rolle. Die Ergebnisse zeigen aber, dass das Programm funktioniert und es ist spannend zu sehen, dass eine Plastizität selbst im Erwachsenenalter vorhanden sowie eine Rückschulung möglich ist“, erklärt Stetter.
Zur Homepage des Lehrstuhls für Bewegungswissenschaft
Zur Publikation "Handwriting kinematics during learning to write with the dominant left hand in converted left-handers" im Journal "Scientific Reports"
Kontakt:
Prof. Dr. Joachim Hermsdörfer
Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft
Georg-Brauchle Ring 60/62
80992 München
Tel.: 089 289 24550
E-Mail: joachim.hermsdoerfer(at)tum.de
Text: Bastian Daneyko
Fotos: Pexels/TUM/privat