Die European Championships (EC) Munich 2022 sind die größte Multisportveranstaltung in München seit den Olympischen Spielen 1972. Zuweilen wird das Event von vielen Sportbegeisterten, Verbänden und Politiker_innen als „Mini-Olympia“ gehandelt. Auch aufgrund der Vermarktung unter dem Slogan „Back to the Roofs“ wird dieser Eindruck begünstigt. Ein Vergleich zu Olympischen Spielen ist sehr naheliegend. Gerade im letzten Jahrzehnt wurde aber immer wieder klar, was für eine Belastung Olympische Spiele für Menschen, Umwelt und Wirtschaft des Ausrichterlandes darstellen. Im Gegensatz dazu schreiben sich die Veranstalter der EC in München Nachhaltigkeit groß auf die Fahne und möchten als Beispiel für nachhaltige Sportgroßveranstaltungen vorangehen. Ist somit also ein Vergleich mit dem Gigantismus und den Auswirkungen von Olympischen Spielen überhaupt gerechtfertigt?
Die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen von Sportgroßveranstaltungen, wie zuletzt die Olympischen Winterspiele in Peking oder auch die kommende Winter-Weltmeisterschaft im Fußball in Katar, gehen seit geraumer Zeit durch die internationale Presse. Nicht zu Unrecht üben Umweltverbände, Menschenrechtorganisationen und sogar Wirtschaftsverbände scharfe Kritik an den Organisatoren. Massive Menschenrechtsverletzungen in Katar, der Bau von gigantischen Skianlagen in ehemaligen Naturschutzgebieten in China mit Kosten in Milliardenhöhen oder auch die Intransparenz und das Abschieben von Verlusten auf die Ausrichter von Olympischen Spielen durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) sind nur einige Beispiele für die Nachwirkungen von Sportevents dieses Maßstabs. Dem gegenüber stehen die European Championships, die bereits vor der Zusage an München 2019 ein Nachhaltigkeits-Konzept fest in die Planung integriert hatten. Die Idee ist jeder_m Beobachter_in leicht zugänglich: Man verwendet die alten Bauten der Olympischen Spiele von 1972 als Austragungsstätten der Europameisterschaften wieder. Der Bayerische Innen- und Sportminister Joachim Herrmann war dadurch bereits hellauf begeistert: „Es ist eine Botschaft an die ganze Welt: Man kann so einen internationalen Wettbewerb auch nachhaltig und umweltgerecht durchführen." Doch zu Veranstaltungen dieser Art gehören schon lange nicht mehr nur die Austragungsstätten.
Das Nachhaltigkeits-Konzept der EC Munich umfasst die drei Ebenen Ökologisches, Soziales und Ökonomisches. Man wolle „einen langfristigen Mehrwert für die Austragungsstadt, die Region und die Nation generieren sowie als Inspirationsquelle für zukünftige Sportgroßveranstaltungen dienen“, heißt es von offizieller Seite.
Aus ökologischer Sicht solle dies durch die Wiederverwendung der alten Sportstätten und durch die Weitergabe der temporär aufgebauten Einrichtungen und neu angeschaffter Sportgeräte geschehen. Dennoch mussten im Vorfeld einige Renovierungen, beispielsweise die neue Tartanbahn im Olympiastadion, vorgenommen werden. Zusätzlich wolle man die CO2-Emissionen für Personen- und Material-Transport durch kurze Wege und das Nahelegen des öffentlichen Personennahverkehrs möglichst geringhalten. Jede_r Zuschauer_in habe zudem die Möglichkeit, mittels einer Spende beim Ticketkauf, seinen ökologischen Fußabdruck durch seine_ihre Teilnahme an dem Event über ein Aufforstungs- und Naturschutzprogramm in Nicaragua zu kompensieren. Die Veranstalter wollen in dieser Form auch die An- und Abreise der Athlet_innen und Betreuer_innen kompensieren. Wie hoch die Spenden ausgefallen sind, lässt sich als Außenstehender jedoch nicht überprüfen. Weiterhin gebe es ein „Müllkonzept“ zur Reduzierung von Abfall durch Verpackungen, Werbematerialen oder Dekoration und Unterstützung von sortenreiner Mülltrennung. Die T-Shirts der Volunteers sind zwar laut Label aus recycelten PET-Flaschen und sollen daher nachhaltig sein. Eine Veranstaltung mit Besucherzahlen in Millionenhöhe wird dennoch zwangsweise Tonnen an Müll produzieren. Auch fraglich sind all die weiteren Werbebanner und Dekorationen, welche nach der Veranstaltung definitiv nicht mehr in dieser Form wiederverwendet werden.
Auf sozialer Ebene wurde bereits ein Jahr vor Beginn der EC Munich die „Count and Last“-Initiative begonnen. Jeden Monat wurde ein sozial nachhaltiges Projekt durchgeführt, bei denen sich auch Interessierte engagieren konnten. Von Rollstuhlrampen aus Legosteinen über Tischtennisspielen für Kinder in Uganda bis hin zu Clean-Up-Projekten in München wurden zwölf kreative Ideen umgesetzt. Auch hier sind genaue Teilnehmer_innen-Zahlen nicht ersichtlich, immerhin gab es aber zu jedem Projekt einen Nachbericht. Weiterhin versuche man, an allen Austragungsstätten vollständige Barrierefreiheit zu erreichen und jeder_m Besucher_in eine gleichberechtigte Teilnahme zu ermöglichen. Und auch der Breitensport solle von den Championships profitieren. Sport und Gesundheit sollen in den Vordergrund rücken und auch Vereine und Verbände, besonders in den neun Sportarten der European Championships, sollen im Rampenlicht stehen.
Wirtschaftlich wolle man vor allem die Region stärken. Die Stadt München solle als touristische Destination präsentiert werden und die regionalen Kunst-, Kultur- Hotellerie- und Gastronomieszene die Möglichkeit bekommen, sich, besonders im Rahmen des Festivals, selbst darzustellen.
Ein direkter Vergleich zum gigantischen Ausmaß, logistischen Aufwand und den Auswirkungen von Olympischen Spielen ist somit eher weit hergeholt. Das beginnt bereits bei den Teilnehmer_innenzahlen: Mit 4.900 Athleten und einer Million erwarteten Zuschauer_innen erreichen die European Championships nur einen Bruchteil der Menschenmassen, die bei vergangenen Olympischen Spielen aufliefen. Auch das detaillierte Nachhaltigkeitskonzept unterscheidet die EC Munich stark von vielen bisherigen Sportgroßveranstaltungen. Damit gehen die European Championships in München eher mit einer positiven Bilanz hervor. Trotz dessen ist auch weiterhin Potential erkennbar und eine olympische Bewerbung Deutschlands sollte gerade aufgrund der Erfahrungen der European Championships weiterhin gut überdacht werden - vielleicht auch erst einmal mit einer transparenten Botschaft an die Bevölkerung.
Text: Julian Brandt
Fotos: Julian Brandt & Jan Cederic Mann