Die COVID-19-Pandemie hat das gesellschaftliche Leben in Deutschland massiv verändert. Viele Menschen gehen aus Angst vor einer Ansteckung weniger zum Arzt und unterziehen sich seltener Vorsorgeuntersuchungen. Welche Auswirkungen hat die erste Welle der Pandemie auf Früherkennung, Diagnose und Behandlung von Krebsneuerkrankungen in Bayern gehabt? Dieser Frage ist der Lehrstuhl für Epidemiologie von Ordinaria Prof. Dr. Stefanie Klug zusammen mit dem Bayerischen Krebsregister, dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe und dem Institut für Qualitätssicherung und Versorgungsforschung der Universität Regensburg nachgegangen.
„Man musste davon ausgehen, dass aufgrund des Lockdowns sowie der Schließung aller Einrichtungen und Praxen von Ende März bis Mitte Mai 2020 die Anzahl der diagnostizierten Krebsneuerkrankungen in diesem Zeitraum gesunken ist“, so Prof. Klug. „Gerade während der ersten Welle der Pandemie wurden wichtige Operationen verschoben. Das kann die Krebspatient_innen stark betroffen haben, denn durch die Schließung der Arztpraxen wurden die Screenings eingestellt und die Krebsfrüherkennung hat geruht. Im Anschluss hat es dann natürlich auch etwas gedauert, bis alles wieder angelaufen ist.“
Die Ergebnisse der Studie wurden unter dem Titel „Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Zahl der Krebsneuerkrankungen und Krebsbehandlungen nach Tumorstadium in Bayern“ im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Das offizielle Organ der Ärzteschaft, das von der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung herausgegeben wird, hat einen Impact Faktor von 5,594.
Ein Schwerpunkt der Analyse lag auf Operationen bei Krebserkrankungen in einem frühen Tumorstadium (Stadium I). Anhand der Daten des bevölkerungsbezogenen Bayerischen Krebsregisters, die bis 26. März 2021 vorlagen, wurden alle Krebsneuerkrankungen und Krebsbehandlungen von Meldern mit zeitnaher Registrierung berücksichtigt. Die Datenbasis umfasste dabei 29 von 42 zertifizierten onkologischen Zentren bzw. Organkrebszentren, 36 von 210 Krankenhausabteilungen sowie 231 von 621 ambulanten Einrichtungen in fünf der sieben bayerischen Regierungsbezirke.
Das Team konnte dabei herausfinden, dass zwischen Januar und September die Zahl der erfassten Krebsneuerkrankungen von 7.361 im Jahr 2019 auf 7.123 im Jahr 2020 gesunken ist. Hinsichtlich des Stadiums konnte ein statistisch signifikanter Rückgang bei Krebsneuerkrankungen im Stadium I gezeigt werden. Dabei waren die größten Rückgänge in diesem Stadium bei Darm- und Prostatakrebs zu finden.
Im Hinblick auf die ersten drei Monate der ersten Pandemie-Welle (März, April und Mai 2020) sanken die Krebsneuerkrankungen im Vergleich zum Jahr 2019 um 10,7 Prozent (März), 18,5 Prozent (April) und 16,5 Prozent (Mai). Im Juni 2020 stieg diese Zahl dann wiederum um 22,7 Prozent verglichen mit 2019. Operationen bei Krebsneuerkrankungen im Stadium I gingen signifikant zurück, insbesondere bei Darm und Melanom waren deutlich weniger Operationen zu verzeichnen.
„Es ist durchaus etwas Besonderes, dass diese Auswertung so schnell vorgenommen werden konnte und wir nach kurzer Zeit hier bereits Ergebnisse hatten“, erklärt die Epidemiologin. „Perspektivisch gesehen wollen wir nun eine zweite Analyse bzw. ein Update der Studie mit den vollständigen Daten vornehmen. So planen wir derzeit, weitere Analysen vorzunehmen, um auch einen Vergleich zwischen den verschiedenen Wellen ziehen zu können.“
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Kontakt:
Prof. Dr. Stefanie Klug
Lehrstuhl für Epidemiologie
Georg-Brauchle-Ring 56
80992 München
Telefon: 089 289 24950
E-Mail: stefanie.klug(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: Deutsches Ärzteblatt/privat