"Die Fakultät steht vor der immerwährenden Aufgabe, die Sportwissenschaft und die Sportpraxis in geeigneter Weise zu verbinden", sagt Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang A. Herrmann. Der Präsident der Technischen Universität München (TUM) begrüßte die Teilnehmer_innen des Sportwissenschaftlichen Hochschultags der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) am Donnerstagabend, den 14.09., in der Allianz Arena zum Conference Dinner. Eine besondere Notwendigkeit wissenschaftlicher Forschung und Lehre ist für Prof. Herrmann die Interdisziplinarität. "Die Fakultät ist in den Kanon der TUM mit den Life Sciences, der Fakultät für Medizin sowie unseren technischen Fakultäten gut eingebunden und schöpft aus der Interdisziplinarität ihre Kraft." Der Präsident der TUM bilanzierte: "Die Fakultät hat eine junge Geschichte, die immer erfolgreicher wird."
Vor dem Conference Dinner gehörten zu den Highlights des wissenschaftlichen Programms an diesem Donnerstag drei Keynotes, zwei Arbeitskreise sowie eine umfangreiche Postersession.
"Es geht nicht darum, den 'Supermenschen' zu entwickeln", sagt Prof. Dr. Gordon Cheng, Gründer und Direktor des Instituts für Kognitive Systeme an der Fakultät für Elektrotechnik und Informationstechnik der TUM, "sondern um ein Verstehen durch das Gestalten. Wie setzen Menschen die verschiedenen Arten der motorischen Interaktion um, das ist die Grundfrage. Und außerdem: Wie können wir das technisch nachbilden?"
Bei seinem Keynote-Vortrag "Sensorimotor interactions in humans and in robots" am zweiten Tag des Sportwissenschaftlichen Hochschultages der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (dvs) stellte Cheng verschiedene menschliche Bewegungsabläufe und die Arbeit seines Teams an den dazu passenden Roboter-Pendants vor. Er präsentierte die Entwicklungsphasen der Robotik über die vergangenen 15 Jahre. Der Roboter "lernte" zunächst das Laufen. Danach bekam er Augen, um sich Bewegungsabläufe des menschlichen Alltages wie etwa das Fensterputzen anzueignen oder auch sportliche Bewegungen abzuschauen, wie etwa eine Frisbeescheibe zu werfen.
Im nächsten Entwicklungsschritt wurde versucht, dem Roboter das Abschauen und Beobachten beizubringen. Mit der "Gifu-Hand", einem mit integrierter Sensorik ausgestatteten Handschuh, kann der Roboterhand beispielsweise das Jonglieren von Kugeln beigebracht werden. "All das ist für vielerlei Bereiche nützlich nicht nur für den Sport, sondern auch für den Gesundheitssektor oder die Entertainmentindustrie", erläutert Prof. Cheng - "des Weiteren für Patienten mit multipler Sklerose, chronischer Polyarthritis oder auch nach Schlaganfällen." Die neueste Besonderheit ist eine künstliche Haut, die Chengs Team entwickelt hat. Mit deren Sensoren können Vibration, Temperatur, Druck und Annäherung gemessen werden. Diese Informationen werden weitergeleitet und die Patient_innen erhalten ein taktiles Feedback. Nach einer gewissen Zeit verbindet das Gehirn dann dieses Feedback mit den Schritten.
"Was wir nicht erwartet haben, war dabei die Erkenntnis, dass das menschliche Gehirn in der Lage ist, sich nach einer solchen schweren Verletzung teilweise neu zu organisieren und Bereiche, die zerstört waren, zu kompensieren, was wir 2016 dann auch in dem renommierten Fachmagazin 'Nature' publizieren konnten."
Wulf - "Beim Lehren von Bewegungsfertigkeiten lässt sich noch Vieles verbessern"
Eine innovative Perspektive auf das Thema "Bewegungslernen" präsentierte Prof. Dr. Gabriele Wulf in der zweiten Keynote des Tages. Die Professorin vom Department of Kinesiology and Nutrition Sciences der University of Nevada in Las Vegas referierte zum Titel "Was beeinflusst das Lernen von motorischen Fähigkeiten?" Es sind die Erfolgsaussichten und die Herausforderung, welche einen Dopaminausstoß im Körper des_der Sportlers_in auslösen und dadurch jemanden etwas besser erlernen lassen. Zugleich aber konnte Wulf in ihren Studien mit Proband_innen feststellen, dass Sportlehrer_innen ihren Schüler_innen Autonomie zugestehen sollten. Die Freiheit, kleinere Entscheidungen selbst treffen zu können – etwa wie oft sie eine Übung wiederholen oder in welcher Reihenfolge etwas geübt werden soll. Ein guter Trainierender würde sich auch eher auf die positiven Aspekte beim Üben seiner Schüler_innen fokussieren und die Fehler nicht thematisieren.
"Let our children play"
"Körperliche Aktivität muss die Regel sein - und nicht die Ausnahme", das fordert Prof. Dr. Mark Tremblay, der dritte Keynote-Speaker des Tages. Der Professor für Pädiatrie an der Universität in Ottawa kritisierte in seinem Vortrag zu "Innovation, Technology and Childhood Healthy Active Living: Moving Forward by Looking Back" die allgemeine Haltung zu technologischen Neuerungen. Diese werden nach Ansicht von Prof. Tremblay zum größten Teil ohne kritisches Hinterfragen adaptiert. Doch neue Technologien führten gleichzeitig auch dazu, dass natürliche Verhaltensweisen wie das Spielen in der Natur verdrängt würden, so Prof. Tremblay und mahnte: "Wir haben eine Inaktivitäts-Krise bei Kindern."
Die gegenwärtige Situation sei prekär. Untersuchungen der körperlichen Kondition von Kindern sprechen für Prof. Tremblay eine klare Sprache: im Vergleich zu den vergangenen Jahrzehnten würde der Nachwuchs fettleibiger; die physischen Fähigkeiten nehmen ab. Smartphones und Spielekonsolen locken Kinder und Jugendliche nach drinnen, wo nach Meinung von Prof. Trembly die deutlich größeren Gefahren im Vergleich zur Natur lauern. Denn hier könnten Eltern nicht kontrollieren, was ihre Töchter und Söhne auf digitalen Bildschirmen konsumieren.
In Sachen Gegenmaßnahmen hat der Direktor für Healthy Active Living und Obesity Research (HALO) an der Kinderklinik des Eastern Ontario Research Institute klare Vorstellungen: weg von zeitgemäßen, strukturierten Aktivitäts-Planungen durch Eltern und Gesundheitsprogramme, weg von Spielkonsolen mit Bewegungsangebot und vor allem: raus aus dem Haus. "Let our children play!"
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Text: Fabian Kautz, Sabine Letz & Conan Furlong
Foto: Astrid Eckert/TUM