Force enhancement! Seit mehr als 50 Jahren stellt dieses Phänomen für Wissenschaftler ein Rätsel dar. Nach einer aktiven Dehnung, können Muskeln mehr Kraft produzieren, als ihnen durch ihre "muskelarchitektonischen" Voraussetzungen eigentlich gegeben wäre. Die dem Phänomen zugrunde liegenden Mechanismen sind bis heute nicht eindeutig identifiziert.
Promotionspreis durch den Bund der Freunde der TUM e.V.
Im Rahmen seiner Promotion hat Dr. Wolfgang Seiberl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet für Biomechanik im Sport von Prodekan Prof. Dr. Ansgar Schwirtz, über das Phänomen geforscht. Im Dezember wurde die Arbeit mit dem Titel "Biomechanik postexzentrischer Muskelaktionen - Feedbackkontrollierte submaximale und maximale Muskelaktionen des willentlich aktivierten m. quadriceps femoris nach exzentrischer Dehnung" vom Bund der Freunde der Technischen Universität München e.V. mit deren Promotionspreis ausgezeichnet. Auch fünf weitere Doktorarbeiten wurden von der Jury prämiert. Bereits seit 1979 vergibt der Förderverein jährlich die mit je 1500 Euro dotierten Auszeichnungen für besondere Habilitations- und Dissertationsprojekte an der TUM.
Innovativer, praxisnaher Ansatz
Seiberl wählte für das Forschungsprojekt einen innovativen und zugleich praxisnahen Ansatz. "Bisher wurde ,Force enhancement' vor allem an Muskelpräparaten oder isolierten Muskelfasern untersucht, die durch Elektrostimulation zur Kontraktion angeregt wurden", erklärt Dr. Seiberl. "Wirwollten untersuchen, ob das Phänomen auch tatsächlich in lebensnahen Bewegungsformen nachgewiesen werden kann." Für seine Untersuchung wählte er den Oberschenkelmuskel "musculus quadriceps femoris", einen der größten Muskeln des Körpers.
Untersuchung der Oberschenkelmuskulatur
Seiberl analysierte insgesamt 30 Probanden. "Die Muskelaktionen der Versuchspersonen wurden mittels Biofeedbackverfahren kontrolliert, auf Basis des Drehmoments und der Muskelaktivität, die per Elektromyographie gemessen wurde", erläutert Seiberl. Dabei diente zum einen das am Kniegelenk wirkende Drehmoment, zum anderen die Aktivität des Muskelstrangs "vastus lateralis" zur Steuerung der Kniestreckung. Die resultierenden Muskelmomente wurden mit einem motorgetriebenen Dynamometer bestimmt. Außerdem wurde die muskuläre Aktivität mittels eines drahtlosen EMG Messsystems aufgezeichnet. "Danach wurde mit Hilfe von mehrfaktoriellen Varianzanalysen und Bonferroni-Holm-Post-Hoc-Vergleichen der Einfluss von Dauer und Intensität der Muskelaktion auf das Drehmoment und die Aktivierung der Muskeln vastus lateralis, rectus femoris und vastus medialis überprüft", erklärt Seiberl. Um optimale Ergebnisse bezüglich der Bewegungskontrolle zu erzielen, wurde im Vorfeld der Untersuchung mit den Probanden eine Feedbackkontrolle trainiert. So ergaben sich zusammen mit dem Test etwa acht Stunden Laborzeit für jede Versuchsperson.
Force enhancement nachweisbar
Tatsächlich konnte in den Untersuchungen für den Oberschenkelmuskel "Force enhancement" nachgewiesen werden. "Der Muskel reagierte auf eine aktive Dehnung mit zweierlei Möglichkeiten: Erstens einer Erhöhung der Kraft oder zweitens einer Ökonomisierung durch geringere Aktivität - für ein jeweils identisches Aktivierungs- oder Kraftniveau und bei gleicher Muskellänge", beschreibt Seiberl. So erhöhte sich beispielsweise das Drehmoment des Muskels um rund 10 Prozent.
Relevanz beim Berg- und Treppensteigen oder jedem Sprung
Durch seine Arbeit lieferte Seiberl einen Nachweis für die tatsächliche Relevanz des Phänomens in lebensnahen Bewegungsmustern. "Force enhancement kann bei jeder Bewegung Relevanz zeigen, wo Gewicht kontrolliert exzentrisch abgelassen und gehalten wird, bevor der Muskel eine erneute Kontraktion ausführt. Also bei jedem Sprung oder auch beim Berg- und Treppensteigen", sagt Seiberl. Auf der Grundlage der Forschungsergebnisse steht nun die Frage im Zentrum, inwieweit dieses Phänomen trainierbar ist und ob es Möglichkeiten gibt, "Force enhancement" in sportliche Technik zu integrieren.
Homepage des Fachgebiets für Biomechanik im Sport
Kontakt:
Dr. Wolfgang Seiberl
Fachgebiet für Biomechanik im Sport
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E-Mail: Wolfgang.Seiberl@tum.de