Die TU München will künftig die Sozialwissenschaften ausbauen. Hierfür wurde an der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaft zum 1. Januar Prof. Dr. Elisabeth Wacker berufen. Seither hat die promovierte Sozialwissenschaftlerin begonnen, den Lehrstuhl für Diversitätssoziologie aufzubauen. Nach ihrem Abitur in Nürnberg studierte die Fränkin an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen Theologie, Germanistik, Philosophie, Soziologie und Rechtswissenschaft. 1989 promovierte sie an der Universität zum Thema "Humanisierung des Arbeitslebens - Der Dritte Weg" und war über zehn Jahre geschäftsführende Leiterin der Zentralen Forschungseinrichtung "Lebenswelten behinderter Menschen". Ab 1996 übernahm sie als C4-Professorin den Lehrstuhl für Rehabilitationssoziologie an der TU Dortmund, war sieben Jahre Dekanin der Fakultät für Rehabilitationswissenschaften, zwei Jahre Vizepräsidentin für Forschung der Universität und Senatorin. Ein kurzes Intermezzo an der TU München gab sie bereits vor rund zehn Jahren, als sie für die Hochschulleitung das Konzept für die Carl-von-Linde Akademie erstellte und im Programm "Deregulierte Hochschule" des Stifterverbands für die TUM das Qualitätsmanagement entwickelte. Prof. Wacker leitet als Max-Planck Fellow seit rund vier Jahren eine Nachwuchsforschergruppe zum Thema "Inklusion bei Behinderung" am Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München und ist seit 2011 die Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung für den Bundesbehindertenbericht.
Frau Prof. Dr. Wacker: Sie hatten in Dortmund viele Tätigkeiten. Warum haben Sie den Ruf der TU München angenommen?
"Die TU München ist eine Elite-Universität, das weiß jeder. Aber ich habe lange überlegt, denn die Möglichkeiten in Dortmund waren sehr gut. Letztendlich habe ich mir gedacht, dass ein Schnitt und ein Neuanfang auch gut für einen selbst sind. Zu viel Routine schläfert vielleicht auch ein bisschen ein.
Manche Dinge sind an der TUM leichtgängiger als in Dortmund. Man wird zum Beispiel darauf angesprochen, dass man Kongresse veranstalten soll. München ist dafür natürlich ein sehr attraktiver Standort, die TUM ist sehr angesehen. Es ist auch eine Universität, die berühmt und berüchtigt ist für ihre sehr hohe Schlagzahl. Das ist mir bekannt. Und das finde ich verlockend."
Wie verbinden Sie mit der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaft?
"Das spannende an unserer Fakultät ist, dass sie sehr stark und etabliert in den klassischen Sportthemen ist. Und sich in den Gesundheitsthemen gerade entwickelt. Das ist ein gesellschaftlich extrem wichtiges Feld. Wenn wir wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen wir uns noch viel mehr mit den Funktionsfähigkeiten und Möglichkeiten von Menschen auseinandersetzen. Hier gibt es einen riesigen Forschungsbedarf. Und da ist die Fakultät wirklich gut aufgestellt.
Ich persönlich bin jemand, der immer transdisziplinär arbeitet. Mein ganzes Team ist so zusammengesetzt. Mein Fach beherrsche ich. Aber die anderen Fächer haben etwas zu bieten, wo man dazulernen kann. Das ist mein Konzept, von dem ich glaube, dass es hier stark sein kann. Wir haben hier die Vielfalt. Auf der einen Seite die Sportwissenschaftlerinnen und Sportwissenschaftler, die Medizinerinnen und Mediziner oder Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftler anderer Couleur. Diese Kolleginnen und Kollegen zu sammeln in bestimmten Themenbereich, das halte ich für hochgradig aussichtsreich."
Welche Themen wollen Sie in der Forschung verfolgen?
"Mein Lehrstuhl hatte immer gesellschafts- und sozialpolitische Themen als Forschungsprojekte. Die Frage heißt: Wie kann man Umwelt adaptieren, wie kann man Organisationen entwickeln, wie kann man Unterstützungen aufbauen, die so förderlich sind, dass gewisse Behinderungen nicht stattfinden. Dann sind die Menschen zwar beeinträchtigt, aber sie können ein selbstbestimmtes Leben führen."
Gibt es bereits konkrete Forschungsprojekte?
"Wir haben zum Beispiel ein Projekt gemacht zum Thema "Barrierefreiheit in Fußballstadien". Da konnten wir sehr gute Vorschläge entwickeln - bis hin zum Trainingsprogramm, wie man die Ordner in den Stadien, meistens Ehrenamtliche, fit macht für den Umgang mit beeinträchtigten Menschen, die ja einen ganz unterschiedlichen Bedarf haben. Ob man beispielsweise nichts sieht oder im Rollstuhl sitzt, ist ja ein erheblicher Unterschied für eine Person, die aber trotzdem teilnehmen will an Großveranstaltungen wie Fußball. Das ist ein Anwendungsbereich. Ein anderer ist im Bereich von tatsächlichem Sport von Menschen mit Beeinträchtigung.
Aus Dortmund haben wir ein Forschungsprojekt nach München mitgebracht, das eine Herzensangelegenheit von mir ist. Wir designen forschungsbasiert ein Curriculum in einem sogenannten Entwicklungsland. In Kenia bauen wir im Bereich der inklusiven Bildung Studiengänge auf. Innerhalb von vier Jahren entwickeln wir gemeinsam mit anderen Universitäten solche Programme.
"Frau Prof. Dr. Wacker, es gibt noch eine Frage, die Ihnen einfach gestellt werden muss: FC Bayern oder Borussia Dortmund?"
Dortmund. Sorry. [lacht] Eigentlich bin ich als gebürtige Nürnbergerin Club-Fan. Wobei ich dort das letzte Mal in der Meistersaison im Stadion war - 1968. Ich bin 1996 nach Dortmund gewechselt, in einer Zeit, als der BVB Meister wurde und die Champions League gewann. Die Stadt Dortmund lebt mit dem Fußball. Das ist ganz anders als in München. Sämtliche Schichten gehen ins Stadion: Arm und Reich, Jung und Alt, alle politischen Richtungen. Diese 80 000, die dort jedes Heimspiel besuchen, sind ein Ausdruck dafür, dass der Fußball der Herzschlag der Stadt ist. Diese Form, für Sport zu leben, fand ich auch soziologisch spannend. Ich war oft im Stadion, hatte eine Dauerkarte. Das spricht mich emotional so an, dass ich dem BVB die Daumen drücke. Aber meine Prognose ist: im Augenblick ist Bayern unschlagbar."
Interview: Fabian Kautz