Eigentlich sind es ganz normale Alltagshandlungen: einen Schlüssel benutzen oder eine Jacke zuknöpfen. Doch für Apraxie-Patient_innen sind diese nicht mehr ausführbar. Durch eine Schädigung des Gehirns, beispielsweise durch einen Schlaganfall, sind ihre motorischen Handlungen gestört. Der Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft von Ordinarius Prof. Joachim Hermsdörfer hat nun untersucht, welche Gehirnareale für die Planung und Ausführung dieser komplexen Handlungen verantwortlich sind. Dabei zeigte sich, dass es im Gehirn ein spezifisches Netzwerk für den Gebrauch von Werkzeugen gibt.
300 000 Euro Förderung durch die DFG
"Unsere Ergebnisse werden Ärzten helfen, beispielsweise nach Schlaganfällen, präzisere Diagnosen zu stellen und dementsprechend unterstützende Maßnahmen für Patienten einzuleiten", erläutert Prof. Hermsdörfer. Die Ergebnisse der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit 300 000 Euro geförderten Studie wurden im September im renommierten "Journal of Neuroscience" veröffentlicht. Das Journal mit dem Impact-Faktor von 6.91 zählt zu den bedeutendsten Publikationen im Bereich der Neurowissenschaften.
Neuronales Netzwerk zur Planung und Ausführung des Werkzeuggebrauchs
"Der Werkzeuggebrauch ist eine der am meisten hervorgehobenen menschlichen Fähigkeiten. Offensichtlich muss dafür Wissen im Gehirn gespeichert sein. Aber wo, darüber streiten sich die Experten", sagt Hermsdörfer. Die Forschergruppe um Prof. Hermsdörfer und Doktorandin Marie-Luise Brandi konnte nun zeigen, dass fast exklusiv die linke Gehirnhälfte, in der auch das Sprachzentrum liegt, aktiviert wird, wenn ein Werkzeuggebrauch geplant wird. Hier scheint also das Know-how für den Werkzeuggebrauch abgespeichert zu sein. Für die Verwendung unbekannter Objekte sind dagegen andere Regionen zuständig.
Insgesamt konnte die Forschungsgruppe ein weit verzweigtes Netzwerk erkennen, dass die Planung und Ausführung des Werkzeuggebrauchs steuert. Dieses Netzwerk besteht aus Hirnregionen des Scheitel- und Frontallappens sowie Regionen im hinteren Schläfenlappen und einem weiteren Areal im seitlichen Occipitallappen des Gehirns. Das neuronale Aktivierungsmuster deckt sämtliche Elemente einer komplexen Handlung ab, vom Erkennen eines Objekts als Werkzeug, über das Verstehen der Funktionen des Objekts bis hin zur konkreten motorischen Aktion, also der Nutzung.
Unterschiedliche Wahrnehmungsströme für verschiedene Aufgaben
"Außerdem konnten wir in der Studie die Annahme bestätigen, dass es für verschiedene Aufgaben unterschiedliche Verarbeitungs-'Ströme' im Gehirn gibt", erklärt Hermsdörfer. Der dorsale Strom der Wahrnehmung leitet Signale vom Occipitallappen zum hinteren Scheitellappen weiter und ist allgemein für die Steuerung von Handlungen zuständig. "Er lässt sich in zwei funktionsspezifische Verarbeitungswege unterteilen: Der dorso-dorsale Strom steuert grundlegende Greif- und Bewegungsprozesse unabhängig davon, ob das Objekt bekannt ist oder nicht. Ein zweiter Strom, der ventro-dorsale Strom wird aktiv, wenn wir bekannte Werkzeuge benutzen", so Hermsdörfer.
Innovative Versuchsanordnung: MRT-Messung mit Bewegung
Für die Studie wurden 20 Proband_innen mit einer funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) untersucht. Dafür kooperierte der Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft mit Kolleg_innen vom TUM-Neuroimaging Center am Klinikum rechts der Isar. "Das MRT wird sehr häufig für die Messung von Gehirnaktivitäten verwendet, jedoch ist hier zumeist keine Bewegung möglich, weil dies die Ergebnisse stark beeinträchtigt. Wir haben durch eine spezielle Versuchsanordnung erstmals die Gehirnaktivität während der tatsächlichen Bewegung messen können", erläutert Hermsdörfer.
Für die Untersuchung wurden die Probandinnen in eine MRT-Röhre gelegt, die ungefähr bis zum Brustkorb reichte. So konnten die Arme ab den Ellbogen genutzt werden, ohne die MRT-Aufnahmen zu beeinträchtigen. Vor den Untersuchungspersonen wurde ein eigens entwickeltes "Werkzeugkarussell" positioniert - ein ca. 40 cm großes Plastikkarussell, mit sechs verschiedenen Werkzeugen, wie Schlüssel, Schraubenzieher oder Flaschenöffner sowie vier Holzstäben. "Da das MRT-Verfahren ein sehr starkes Magnetfeld aufbaut, mussten wir jegliches Metall vermeiden. Also haben wir unser Werkzeug und das Karussell aus Plastik erstellt", so Hermsdörfer.
Zwei Aufgaben, vier Wiederholungen: rund 90 Minuten im MRT
Auf Kommando wurde einer der Gegenstände zum Probanden rotiert und diesem seine Aufgabe mitgeteilt: Entweder das Werkzeug bzw. das neutrale Objekt greifen oder auch benutzen. Während dieser Vorgänge wurde jeweils die Gehirnaktivität gemessen. Dabei absolvierte jeder Untersuchungsteilnehmende vier Durchläufe jeder Bedingung mit jeweils zehn Werkzeugen und Objekten am Karussell - und dies mit beiden Händen. Insgesamt verbrachte so jeder der zwanzig Proband_innen rund 90 Minuten in der sogenannten "Röhre".
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Kontakt:
Prof. Dr. Joachim Hermsdörfer
Lehrstuhl für Bewegungswissenschaft
Georg-Brauchle Ring 62
80992 München
Telefon: 089 289 24550
E-Mail: Joachim.Hermsdoerfer(at)tum.de