Ab dem Wintersemester 2013/14 bietet die Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaft den Masterstudiengang "Traditionelle Chinesische Medizin" an. Verantwortlich für den Studiengang ist Prof. Dr. Carl-Hermann Hempen. Bereits vor mehr als 35 Jahren entdeckte der 65-Jährige die Chinesische Medizin. 1973 hatte er 25-jährig sein Medizinstudium an der LMU beendet. Doch Hempen empfand das Gelernte als unzureichend. "Zu viele Patienten verlassen die ärztliche Praxis ohne genaue Diagnose und ohne klare Therapie", so Hempen. Trotzdem vollendete er seinen Facharzt als Internist in München. Begleitend studierte er Mathematik und Informatik und begann ab 1975, sich mit der Chinesischen Medizin intensiv auseinanderzusetzen, als Schüler und Mitarbeiter von Prof. Manfred Porkert, emeritierter Extraordinarius für Theorie der Chinesischen Medizin an der LMU. 1978 war Hempen Mitbegründer der Internationalen Gesellschaft für Chinesische Medizin (SMS). Nach Abschluss der Facharztausbildung gründete er 1984 seine eigene Praxis, das "Fachärztliche Zentrum für Chinesische Medizin". Neben Hempen praktizieren dort inzwischen zehn weitere Ärzte. Hempen ist Autor zahlreicher Veröffentlichungen zur Chinesischen Medizin, Dozent und Ausbilder im In- und Ausland. Im Juli 2012 wurde er zum Honorarprofessor an der Technischen Universität München ernannt.
Herr Prof. Hempen: Traditionelle Chinesische Medizin. Was ist das genau?
"Die Chinesische Medizin ist ein eigenes Behandlungssystem. Im Zentrum der Betrachtung stehen der Patient und sein ´Qi´, die Lebensenergie die alle gängigen Lebensfunktionen wie Atmung, Verdauung, Körperbewegung und emotionale Vorgänge beinhaltet.
Um die qualitativen Veränderungen des Qi zu erfassen, bringt der Arzt Beobachtungsdaten in ein umfassendes Bezugssystem ein. Aus dieser Ordnung kann eine klare Diagnose formuliert werden und dann eine schlüssige Therapie entworfen werden."
Wie kann so eine Therapie aussehen?"
Es gibt verschiedene Therapieverfahren, die genau an die diagnostische Aussage angepasst sind. Man spricht hier von den fünf therapeutischen Säulen der TCM. Da ist zunächst die chinesische Arzneitherapie, in der pflanzliche, tierische und mineralische Stoffe genutzt werden und die in ca. 85 Prozent der Fälle zur Anwendung kommt. Dann gibt es die Akupunktur, die in rund 10 Prozent der Fälle verwendet wird, und begleitend die Diätetik, die manuelle Therapie - Tuina genannt - sowie die Bewegungsübungen Taiji und Qigong. Die Chinesische Medizin stellt auf diese Weise ein echtes Komplement zur westlichen Medizin dar."
Was ist der Grund dafür?
"Die westliche Medizin orientiert sich primär am Organischen. Die Messbarkeit ist ein wichtiges Kriterium und bildgebende Verfahren wie Röntgen, Computertomografie oder die verschiedenen Laborbefunde erhalten hierdurch ihren Wert."
Und das ist in der Chinesischen Medizin anders?
"Ja. Die Chinesische Medizin interessiert sich für die energetischen Prozesse. Der Fluss der Energien, eben das Qi, steht im Mittelpunkt der Betrachtung. Wenn dieser Qi-Fluss, der durch Phänomene und subtile Untersuchungen wahrgenommen werden kann, harmonisch, ungestört und suffizient fließt, dann fühlt sich der Mensch gesund.
Die Untersuchungsweise ist durch die sinnliche Wahrnehmung des Arztes bestimmt, beispielsweise die Puls- oder Zungendiagnose. So ist der Behandler immer ganz nah am Menschen. Auf diese Weise ist die ganze Chinesische Medizin unmittelbar aus den subtilen Beobachtungen und Phänomenen entwickelt und strukturiert worden."
Wie sieht das in der Praxis aus?
"Es sieht eben so aus, dass alles in die Diagnose eingeht, was am Patienten und durch den Arzt wahrnehmbar und beobachtbar ist. Deswegen muss der Therapeut seine Sinne entsprechend schärfen und sein Empfindungsvermögen stärken.
Alle Phänomene, die es am Menschen gibt, werden aufgenommen. Beispielsweise die Reaktion auf verschiedene Reize, Geschmack, Sensorik, Farben. Nichts wird ausgeschlossen. Manche dieser Phänomene sind weniger bedeutsam, andere aber sind sehr wertvoll. Welche, das zeigt dann die klinische Erfahrung und der Therapieverlauf."
Was beinhaltet der Studiengang Traditionelle Chinesische Medizin?
"Zunächst, dass die Chinesische Medizin mit ihrem ganz anderen Menschenbild und ihrer anderen Methodologie überhaupt erst einmal kennengelernt wird. Zweitens werden Physiologie und Pathophysiologie erlernt sowie die wichtigsten therapeutischen Verfahren vermittelt - also die Arzneitherapie und die Akupunktur. Natürlich auch die anderen genannten Therapieverfahren, denn die Ausbildung ist umfassend. Dieses wird dann in den verschiedenen Bereichen vertieft, also beispielsweise der Schmerztherapie, der Inneren Medizin oder der Behandlung des Bewegungsapparates. Es geht darum, Krankheitsbilder zu diagnostizieren und diese zu therapieren. Anschließend werden alle Fachbereiche vertieft und die wichtigsten Krankheitsbilder z. B. der Dermatologie, Gynäkologie, Augenheilkunde und aller anderen klinischen Bereiche abgehandelt.
Außerdem werden Praktika angeboten, beispielsweise in China. Mit mehreren Universitäten haben wir gute Kontakte. Das Studium endet mit der Master Thesis."
Der akademische Abschluss ist einzigartig?
"Genau. Der Vorteil ist, dass die Studierenden eine völlig andere Medizin kennenlernen, mit einem großen Repertoire an Therapiemöglichkeiten. Und sie können damit unendlich viel mehr behandeln, als es eben mit der westlichen Medizin möglich ist.
Zweitens beinhaltet das Studium, dass man nun auch einen verbrieften akademischen Abschluss hat, den ´Master of Science´. Dieser Abschluss ist erstmalig in Europa und wird so auch eine Leitlinie sein. Daran werden sich künftig alle anderen orientieren müssen."
Wie passt dieser Studiengang zur Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaft?
"Die Fakultät macht vieles im Bereich der Prävention. Und die Chinesische Medizin ist eben auch in diesem Bereich vorbildlich. Weil der Mensch anders wahrgenommen wird und so präventive Maßnahmen ergriffen werden können. Außerdem können alle die genannten Methoden wunderbar im Sport angewendet werden. Das Schöne an der Chinesischen Medizin ist, dass sie bei richtiger Handhabung keinerlei Schaden verursachen kann. Sie ist bei korrekter Anwendung nahezu nebenwirkungsfrei."
"Herr Prof. Hempen, viele Interessierte werden noch eine Frage haben: Müssen die Studierenden Chinesisch beherrschen?
"Nein. Wir haben für alles Dolmetscher, falls dies überhaupt nötig sein sollte. Die Studienunterlagen sind in der Regel auf Deutsch. Wir haben ein eigenes Computer-Programm zu diesem Thema entwickelt und werden auch I-Pad-Versionen anbieten. Die Ausbildung findet also vollständig in deutscher Sprache statt. Da wir an der internationalen Nomenklatur mitarbeiten, können und werden wir den Studierenden aber zusätzlich auch jederzeit die chinesischen und englischen Bezeichnungen anbieten."
Informationen zum Masterstudiengang Traditionelle Chinesische Medizin
Zur Homepage der Honorarprofessur Traditionelle Chinesische Medizin
Interview: Fabian Kautz