Am Donnerstag, den 18. Januar, hat das Bundeskabinett den zweiten Teilhabebericht über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigung verabschiedet. Als Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirats hat Prof. Dr. Elisabeth Wacker, Ordinaria des Lehrstuhls Diversitätssoziologie, diesen begleitet und wesentliche Aspekte mitgestaltet.
"Wir haben uns im wissenschaftlichen Beirat erneut intensiv, über Fächergrenzen hinweg und auch transnational eingebracht - beispielsweise was die Anbindung an die UN-Behindertenrechtskonvention betrifft", erklärt Prof. Wacker.
Prof. Wacker: Veränderungen bezüglich der Datenerhebung zahlen sich nun aus
Der Bericht macht deutlich: Die Entwicklung der Teilhabe verläuft nicht in allen Lebensbereichen einheitlich. Neben erkennbaren Fortschritten gibt es auch weiterhin Nachholbedarf in wichtigen Lebensbereichen. "Teilhabeberichte sind für Politik und Gesellschaft zugleich Herausforderung und Orientierung. Sie zeigen den Handlungsbedarf für die Zukunft auf - für Politik und Zivilgesellschaft", erklärt die Bundesministerin für Arbeit und Soziales Andrea Nahles.
Auch Prof. Wacker bilanziert, dass "bei allen Erfolgen noch viele Wünsche offen bleiben, gerade im Bereich der Datenlage. Für den letzten Bericht hatten wir hier einschneidende Veränderungen vorgenommen, die nun beginnen, sich auszuzahlen. Der Bund wird in den kommenden Jahren große Anstrengungen unternehmen, um die Datenlage weiter zu verbessern und damit auch vom Beirat erstellte Konzepte umzusetzen."
Repräsentativbefragung zur Verbesserung der Datengrundlage
So wurde ab Ende 2016 eine breit angelegte Repräsentativbefragung gestartet. Noch bis 2021 werden die Menschen mit Beeinträchtigung erstmals zu ihrer Situation befragt: Wie leben sie nach eigener Einschätzung? Wie wollen sie gerne leben? Und wo stoßen sie auf Barrieren? "Erste Ergebnisse daraus werden somit in den nächsten Teilhabebericht einfließen können - und uns Ansporn sein, beim Thema Inklusion noch weiter voranzukommen", prognostiziert Bundesministerin Nahles.
Der nun publizierte zweite Teilhabebericht basiert großteils auf Daten aus den Jahren 2005 bis 2014. Die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland ist von 10,99 Millionen (2005) auf 12,77 Millionen (2013) gestiegen. Eine Entwicklung, die primär auf den demografischen Wandel zurückzuführen ist. Denn Beeinträchtigungen treten mit höherem Alter vermehrt auf. Als Menschen mit Beeinträchtigungen gelten Menschen mit anerkannter Behinderung oder chronischen Erkrankungen.
Vorbild Kinderbetreuung: Inklusion ist gelebte Praxis
Als erfreulich wertet das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, dass immer mehr Kinder im Vorschulalter qualifiziert gemeinsam betreut werden. So ist der Anteil der inklusiv betreuten Kinder von 81 Prozent (2008) auf 91 Prozent (2015) gestiegen. Inklusion ist hier bereits gelebte Praxis. Gleichzeitig ist die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderungen in den letzten Jahren gesunken, das Beschäftigungsniveau dagegen gestiegen. Fast 1,2 Mio. Arbeitnehmer oder ihnen Gleichgestellte wurden im Jahr 2014 beschäftigt.
Ein weiterer Fortschritt ist, dass deutlich mehr Menschen ambulant betreut in einer eigenen Wohnung leben. Seit 2008 hat sich ihre Anzahl verdoppelt - auf rund 160.000 im Jahr 2014. Aber noch immer werden mehr Schüler_innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf nicht an Regelschulen, sondern an Förderschulen unterrichtet - 66 Prozent in 2014. Und nach wie vor bleiben viele dieser Schüler_innen ganz ohne Schulabschluss - 71 Prozent in 2014. Weiterer Handlungsbedarf besteht nach Einschätzung des Ministeriums beispielsweise beim Angebot barrierefreier Verkehrsmittel, dem barrierefreien Wohnraum und bei barrierefreier Freizeitgestaltung.
Kommentare durch den wissenschaftlichen Beirat
Neben der Präsentation der Fakten geben im Bericht publizierte Kommentare des wissenschaftlichen Beirats Einblick in aktuelle, wissenschaftliche Diskurse und formulieren Erwartungen an die Inklusionspolitik in Bund und Ländern. "Ich finde das ein sehr schönes und bewährtes Format, dass wir als wissenschaftlicher Beirat über unsere unabhängigen Kommentare, die unverändert veröffentlicht werden, den Bericht aktiv mitgestalten", erklärt Wacker.
Zudem werden durch den Beirat jeweils zwei Schwerpunktthemen gesetzt und vertieft. "Wir haben den Fokus diesmal auf Zuwanderungserfahrungen und Wohnungslosigkeit bei Menschen mit Beeinträchtigung gelegt. Zwei hochaktuelle Gesellschaftsthemen", so Wacker. Die Bearbeitung beider Themen stellte sich als besondere Herausforderung dar, weil gerade über Personengruppen mit mehreren Benachteiligungen bisher kaum verlässliche Daten vorliegen.
Die Bundesregierung erstellt alle vier Jahre einen Bericht über die Lage von Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland. Dazu werden Daten über deren Lebenslage und den Entwicklungsstand ihrer Teilhabe ausgewertet. Damit wird die im SGB IX und in der UN-Behindertenrechtskonvention festgelegte Berichtspflicht erfüllt.
Der Bundesteilhabebericht (PDF, 5 MB)
Zur Homepage des Lehrstuhls Diversitätssoziologie
Kontakt:
Prof. Dr. Elisabeth Wacker
Lehrstuhl Diversitätssoziologie
Georg-Brauchle Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24461
E-Mail: Elisabeth.Wacker(at)tum.de
Text: Fabian Kautz, Bundesministerium für Arbeit und Soziales
Foto: TUM