"Es ist die Premiere für ein inklusives Sportfest in Deutschland. Eine Art inklusive Bundesjugendspiele", freut sich Prof. Dr. Elisabeth Wacker. Unter dem Motto "Spiele ohne Grenze" haben Studierende der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften in zwei Seminaren ein Konzept für das gemeinsame Sportfest der Kinder mit und ohne Beeinträchtigung erarbeitet. Organisiert und betreut wird die Veranstaltung durch den Lehrstuhl Diversitätssoziologie von Ordinaria Prof. Dr. Wacker in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Sozialpädiatrie von Prof. Dr. Volker Mall.
130 Schüler_innen aus Inklusionsklassen
Für die ersten "Spiele ohne Grenze" sind am Dienstagmorgen rund 130 Schüler_innen aus Inklusionsklassen aus Parsberg, Tutzing und München mit ihren Lehrern_innen an den TUM Campus im Olympiapark (CiO) gekommen. Neben den Organisatoren Prof. Wacker und Prof. Mall sind auch Prof. Dr. Ansgar Schwirtz, der Dekan der Fakultät für Sport- und Gesundheitswissenschaften, sowie Josef Mederer, der Präsident des oberbayerischen Bezirkstages und Verwaltungsratsvorsitzende der Kliniken des Bezirks Oberbayern mit dabei. Gemeinsam mit der Fakultät und dem Lehrstuhl Diversitätssoziologie hat die Kulturstiftung Oberbayern, bei der Mederer einer der Gesellschafter ist, die "Spiele ohne Grenze" finanziert.
"Das Land Bayern hat sich verpflichtet, die Behindertenrechtserklärung der Vereinten Nationen umzusetzen. Und die Teilhabe im Sport ist ein wichtiger Teil davon, den wir gerne ermöglichen und fördern möchten", erklärt Mederer. "Was gibt es da besseres, als Inklusionsklassen, die sich messen und mit echter Teilhabe in einem Wettbewerb aktiv sind." Dekan Prof. Schwirtz erklärt: "Die Diversität ist an unserer Fakultät ein Thema, das wir nicht nur wahrnehmen, sondern es auch tatsächlich leben wollen."
Die Klassen wurden über das Bayerische Staatsministerium für Kultus und Bildung, Wissenschaft und Kunst eingeladen. Vor der Veranstaltung erhielten die betreuenden Lehrer_innen einen Fragebogen, auf dessen Grundlage Gruppen eingeteilt wurden.
Konzept mit drei Stationen
Für die TUM-Studierenden, die die Spiele vorbereitet hatten, "bestand eine Herausforderung darin, mit den sehr unterschiedlichen Kindern zu arbeiten; sie können verschieden Freude an Sport und Spiel haben, verschiedene Fähigkeiten oder Beeinträchtigungen haben und unterschiedlich körperlich fit sein. Die einzelnen Aufgaben müssen immer zur Inklusionsklasse passen und das heißt für alle passend sein", erläutert Wacker.
Dafür haben die Studierenden ein Konzept mit drei Stationen erarbeitet. Zu den Themen "Awareness", "Balance" und "Bewegung" können für verschiedene Aufgaben Punkte gesammelt werden. Die Kinder treten gemeinsam in Gruppen an, die untereinander dann im Wettbewerb stehen."
Awareness, Balance und Bewegung
An den einzelnen Stationen werden unterschiedliche Aspekte angesprochen. "Die Kinder sollen durch 'Spiele ohne Grenze' die Erfahrung machen, dass jeder individuelle Fähigkeiten hat und ein Bewusstsein für diese Fähigkeiten entwickeln. Wichtig ist, dass die die einzelnen Stärken und Schwächen ausgeglichen werden. Denn dann ist ein Team stark", so Mall.
Wie viel Spaß die Kinder an den Aufgaben haben, zeigt sich an den Stationen. In der Gymnastikhalle des TUM CiO ist die Bewegungs-Station aufgebaut. Zwei Kinder klemmen dort einen Luftballon zwischen sich ein und absolvieren gemeinsam einen Parcours mit Hütchen und über Weichbodenmatten, während ihre Klassenkamerad_innen sie anfeuern. In der großen Dreifachhalle dreht sich alles um "Balance". Zwei passen sich einen Ball zu und gehen dabei über zwei Bänke, die im Abstand von zwei Metern aufgestellt sind. Danach nehmen sie einen Tennisschläger mit einem Ball darauf und laufen diesen balancierend in Schlangenlinie zwischen Hütchen hindurch.
Der zweite Teil der Station findet in einem durch ein Seil oval abgegrenzten Bereich statt. Hier sortieren sich die Kinder nach verschiedenen Kriterien wie "Alter", "Hausnummer" oder "Anfangsbuchstabe". Aus der jeweiligen Zeit wird eine Punkteanzahl errechnet. Die Kinder jeder Gruppe organisieren sich selbst, stärkere Kinder unterstützten schwächere und helfen ihnen ihre Position zu finden. Nach dem ersten Durchlauf erhalten zudem mehrere Kinder einen Sichtschutz über die Augen, sodass auch sie nun auf Hilfe angewiesen sind, andere halten sich die Ohren zu und simulieren so eine Einschränkung beim Hören. Auf beide Situationen muss die Gruppe reagieren.
Selbstwahrnehmung und Wissensvermittlung
Auf der Wiese vor der Cafeteria steht die "Awareness-Station". Vor Biertischgarnituren sind mehrere rote Hütchen aufgebaut. Die Kinder sprinten einige Male von einem zum nächsten über den sattgrünen Rasen und dann wieder zurück zur Bank. Dort liegen auf dem Tisch bereits Zeichnungen, die eine Lunge sowie ein Herz zeigen. Jedes Kind misst nun auf Anleitung seine Herzfrequenz. Dann nimmt eine Studentin ein Gerät zur Bestimmung des Blutdrucks und legt die zugehörige Manschette einem der Kinder um den Arm.
"Es geht um die Selbstwahrnehmung und das Körpergefühl. Für Schüler ist das ein spannendes Thema", erläutert Wacker. Nach der Messung stehen die Kinder auf, rennen einige Minuten über die Wiese und setzten sich dann wieder. Jetzt erklären die Student_innen ihnen, warum sie beginnen zu schwitzen und wofür diese Körperfunktion gut ist.
"'Spiele ohne Grenze' ist ein erstes Experiment. Auf der Grundlage der gewonnenen Erfahrungen werden wir das Projekt weiterentwickeln. Unser Traum ist, dass dies dann auch Eingang in den Schulunterricht findet", hofft Wacker. Dafür wurde bereits bei der Konzeptionierung darauf geachtet, möglichst nur Geräte zu verwenden, die in jeder Schule vorhanden sind - oder günstig in der Anschaffung.
Während der Veranstaltung erhielten die Lehrer_innen der Klassen Fragebögen zu jeder Station und konnten so direktes und detailliertes Feedback geben. Auf der Grundlage der Erfahrungen soll dann in den kommenden Jahren eine Art Handbuch entstehen, das die konkreten Übungen, Anweisungen und Tipps für die Durchführung sowie benötigte Materialien für das inklusive Sportfest auflistet.
Die Premiere ist ein Erfolg. "Es war ein Tag mit großartiger Stimmung und viel gemeinsamer Freude", meint Mall. "Es war eine tolle Veranstaltung, die gezeigt hat, dass Ausgrenzung nicht gilt. Inklusion kann gelebt werden", bilanziert Bezirkstagspräsident Mederer. Auch Ordinaria Prof. Wacker ist sehr zufrieden: "Ich denke wir sind auf dem richtigen Weg. Das von den Studierenden erarbeitete Konzept hat toll funktioniert und wird nun nochmals weiterentwickelt, damit dann auch andere solche Spiele erleben können."
Zur Homepage des Lehrstuhls Diversitätssoziologie
Reportage über die Spiele ohne Grenze in der Süddeutschen Zeitung
Zur Homepage des Lehrstuhls für Sozialpädiatrie
Kontakt:
Prof. Dr. Elisabeth Wacker
Lehrstuhl Diversitätssoziologie
Uptown München, Campus D
Georg-Brauchle Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24460
E-Mail: Elisabeth.Wacker(at)tum.de
Text: Fabian Kautz
Fotos: Fabian Kautz