Unter der Leitung von Prof. Dr. Ansgar Schwirtz, Professor für Biomechanik im Sport, wurde ein hochdotiertes Drittmittelprojekt eingeworben. Mit insgesamt 1,77 Millionen Euro fördert das Bundesinnenministerium über den Innovationsausschuss des "Gemeinsamen Bundesauschusses" die von Februar 2019 bis Januar 2023 laufende Studie "Stellenwert der Bewegungsdiagnostik zur Förderung früher körperlicher und sportlicher Aktivität bei Kinderrheuma" (BEWARE). Dafür kooperiert die Professur für Biomechanik im Sport mit dem langjährigen Partner "Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie" in Garmisch-Partenkirchen (DZKJR).
Kinderrheuma: 1.500 Kinder jedes Jahr betroffen - Schonhaltungen nach Therapie
Mehr als 1.500 Kinder und Jugendliche erkranken in Deutschland jährlich an Kinderrheuma (Juvenile Idiopathische Arthritis [JIA]). Wie beim Erwachsenenrheuma äußert sich die Erkrankung von Anfang an durch entzündete Gelenke mit Schmerzen, Schwellung, Überwärmung und Bewegungseinschränkungen. Als Folge entstehen erhebliche Beeinträchtigungen der Alltagsfunktionalität und Lebensqualität der Kinder. Zum Beispiel können viele in diesem Zeitraum nur sehr eingeschränkt Sport treiben.
Die Therapie erfolgt multimodal und besteht aus einer Kombination aus medikamentösen und physiotherapeutischen Maßnahmen sowie einzelnen Sportangeboten. Nach Abschwellen des Gelenks beginnt die Phase des inaktiven Erkrankungsstatus. Doch bei rund 60% der Patient_innen bleiben Funktionsdefizite, wie angewohnte Schonhaltungen - die dann im weiteren Lebensverlauf zu neuen Problemen und Einschränkungen führen.
Individuelle Sportberatung zur Verhinderung von langfristigen funktionellen Einschränkungen
"Wir werden in dem Forschungsprojekt Kinder mit JIA untersuchen und dabei unter anderem mit einer 3D-Analyse und einem Motorik-Test ein exaktes Profil ihrer Bewegungen während der Therapie erstellen", erläutert Prof. Schwirtz. Darauf basierend werde dann eine individuelle Sportberatung angeboten, die unter anderem zur Verhinderung von langfristigen funktionellen Einschränkungen und entsprechenden Folgeschäden führen soll. "So wollen wir zeigen, dass die biomechanische Bewegungsanalyse und die funktionelle Analyse zu einer Kosteneinsparung führen kann und sich entsprechend für die Krankenkassen lohnt. Auf diese Weise sollen zukünftig Patienten von einer Sportberatung profitieren können", erklärt Prof. Schwirtz.
"Ein großes Problem der Therapie besteht darin, dass im klassischen klinischen Setting häufig Funktionsstörungen bei Alltagsbewegungen unzureichend analysiert werden. Somit entsteht eine Unsicherheit über die geeigneten funktionellen Methoden und der daraus resultierenden Beratung zur sportlichen Aktivität ", sagt Dr. Josephine Merker. Die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Professur für Biomechanik im Sport unterstützt die Umsetzung des Projekts im DZKJR in Garmisch-Partenkirchen. "Wir sind davon überzeugt, dass frühe sportliche Aktivität während der Therapie helfen kann, funktionelle Einschränkungen zu vermeiden. Außerdem wollen wir herausfinden, welche Patienten funktionelle Einschränkungen entwickeln und welche Methoden zur Einschätzung dieser notwendig sind", sagt Dr. Merker.
Untersuchung mit 200 neuerkrankten Kindern und Jugendlichen
Für die Intervention werden 200 neuerkrankte Kinder und Jugendliche bis zu zwei Jahre begleitet und dabei dreimal untersucht. Dabei wird eine 3D-Analyse der Bewegungen vorgenommen sowie die Fitness und die motorischen Fähigkeiten überprüft. Zusätzlich wird die Lebensqualität mittels Fragebogen während des Klinikaufenthalts und per App zuhause ermittelt. Die Proband_innen werden in zwei Gruppen aufgeteilt: eine erhält die ausführliche und individualisierte Sportberatung, die andere die bisherige Standardempfehlung. Nach Abschluss der randomisiert, kontrollierten Studie werden die Ergebnisse beider Gruppen verglichen.
Auf der Grundlage der so gewonnenen Erkenntnisse sollen in Zusammenarbeit mit der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) Empfehlungen für die Versorgungslandschaft formuliert werden. Dazu wird eine Sportberatungssoftware entwickelt. Welche sportliche Aktivität ist bei welchem Krankheitsbild zu empfehlen und welche funktionelle Diagnostik ist zur sicheren Sportteilnahme des Patienten notwendig? Diese Information soll Ärzten hierüber möglichst zeitnah flächendeckend zur Verfügung gestellt werden.
Post-doc-Stelle für vier Jahre
Das Projekt wird von der Professur für Biomechanik im Sport geleitet und gemeinsam mit dem DZKJR (Prof. Dr. Johannes-Peter Haas) in Garmisch-Partenkirchen durchgeführt sowie durch das aQua Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen unterstützt. Darüber hinaus wird das Projekt in Teilbereichen durch das Universitätsspital Basel (Prof. Ulrich Walker), das Deutsche Rheuma Forschungszentrum Berlin (Dr. Jens Klotsche, Prof. Kirsten Minden) und in der Softwareentwickung durch die Soliance GmbH verstärkt. Des Weiteren ist die Deutsche Kinderrheuma-Stiftung Kooperationspartner für dieses Projekt. Von der gesamten Projektsumme wird an der Professur für Biomechanik im Sport ca. 600.000 Euro investiert, wovon unter anderem eine Post-Doc-Stelle für vier Jahre geschaffen wird. Rund 1 Mio. Euro fließen via TUM an das DZKJR in Garmisch-Partenkirchen für die Ausstattung des Bewegungslabors mit aktueller Messtechnik sowie das Personal der Untersuchungsdurchführung mit den Patient_innen.
"BEWARE verbindet die beiden wesentlichen Säulen unserer Fakultät, nämlich den Sport und die Gesundheit. Wir werden Prävention im Alltag konkret umsetzen", sagt Prof. Schwirtz.
Zur Homepage der Professur für Biomechanik im Sport
Informationen zum Gemeinsamen Bundesausschuss
Zur Homepage des Deutschen Zentrums für Kinder- und Jugendrheumatologie
Kontakt:
Prof. Dr. Ansgar Schwirtz
Professur für Biomechanik im Sport
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24580
E-Mail: ansgar.schwirtz(at)tum.de
Dr. Josephine Merker
Professur für Biomechanik im Sport
Georg-Brauchle-Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24648
E-Mail: Josephine.Merker(at)tum.de
Text: Dr. Fabian Kautz
Fotos: DZKJR/Matthias Hartmann, TUM/Josephine Merker