Das Internationale Olympische Komitee (IOC) unter der Leitung seines Präsidenten Dr. Thomas Bach hat Ende März bekanntgegeben, dass die Olympischen Sommerspiele 2020 in Tokio/Japan aufgrund der weltweiten COVID-19-Pandemie um ein Jahr verschoben werden. Doch wie wird eine Durchführung des größten Sportereignisses der Welt vom 23. Juli bis 8. August 2021 angesichts der aktuellen Situation aussehen können? Wird es Olympische Spiele ohne Zuschauer geben? Wie kann die Gesundheit der Athlet_innen sichergestellt werden? Diesen und anderen Fragen ist die ZDF-Sportreportage in einem Beitrag mit dem Titel „Spiele in Pandemie-Zeiten: Das andere Olympia?“ nachgegangen, der am Sonntag, den 19. Juli 2020, ausgestrahlt wurde.
Für die Reportage hat ZDF-Redakteur Eike Schulz auch Prof. Dr. Henning Wackerhage, Ordinarius des Lehrstuhls für Sportbiologie, zu möglichen Zukunftsszenarien im Hinblick auf die Durchführung der Olympischen Sommerspiele 2021 interviewt.
„Ich denke, es wird technische Lösungen geben, um Olympische Spiele vertretbar sicher abzuhalten“, erklärte Prof. Wackerhage im ZDF. „Man kann die Athlet_innen testen und damit gewährleisten, dass sie nicht infiziert sind. Wenn man dann noch den Kontakt zu anderen limitiert, könnten die Wettkämpfe durchgeführt werden. Darüber hinaus muss aber auch überlegt werden, wie man mit den Zuschauern umgeht. Hier sollten kreative Köpfe entsprechende Hygienekonzepte entwickeln. Die grundsätzlichen Fragen lauten: Will man Olympische Spiele um jeden Preis? Wollen wir Olympische Spiele, die von den Menschen in Japan und dem Rest der Welt abgelehnt werden? Sicherlich nicht! Hier sind jetzt das Organisationskomitee und das IOC gefordert, uns davon zu überzeugen, dass die Olympischen Spiele 2021 nicht nur aus kommerziellen Gründen stattfinden. Es muss ein schlüssiges Konzept geben, das Olympische Spiele ohne nennenswerte SARS-CoV-2-Infektionen sicherstellt. Zudem müssen die Probleme der olympischen Bewegung wie Doping, ungenügende Nachhaltigkeit und zu wenig Zuspruch in der Bevölkerung auch ausreichend gelöst werden.“
Möglicherweise könnten bis Juli 2021 weitere technische Lösungen entwickelt werden, die bei der Durchführung der Wettkämpfe helfen. „Wir haben ein Forschungsprojekt geplant, bei dem wir messen wollen, wie viele Tröpfchen und Aerosole freigesetzt werden, wenn sich das sogenannte Atemminutenvolumen von Sportler_innen bei intensiven Belastungen erhöht“, so der Sportbiologe. „Dies wurde so bislang noch nicht untersucht. Es ist wichtig, dass hier Daten gesammelt werden, damit man berechnen kann, wie hoch das Infektionsrisiko ist, wenn sich Athlet_innen beispielsweise in einer Sporthalle intensiv belasten. Denkbar wäre auch die Entwicklung von Sportmasken, die trotz intensiver Belastung die Atmung nicht behindern und die Tröpfchen- und Aerosolproduktion trotzdem verringern. Zudem würden die Atemgase – sozusagen wie bei einem Auspuff beim Auto – nicht in das Gesicht von anderen Athlet_innen abgeatmet werden. Als Technische Universität haben wir die Aufgabe, technische Lösungen für derartige Probleme zu finden. Ich sehe hier die Chance, multidisziplinär beispielsweise mit den Ingenieuren oder Medizinern der TUM zusammenzuarbeiten.“
Wenn bis zum Sommer 2021 ein wirksamer Impfstoff entwickelt werden könnte, dann würde dies natürlich laut Prof. Wackerhage die sichere Durchführung der Olympischen Spiele vereinfachen: „Wenn der Impfstoff in ausreichender Menge zur Verfügung stehen würde, würden sich bestimmte Probleme oder Fragen gar nicht mehr stellen. Aber ob es einen Impfstoff in ausreichender Menge geben wird, kann derzeit jedoch niemand beantworten, weshalb aktuell noch große Unsicherheit herrscht.“
Dass die Olympischen Sommerspiele parallel zur Fußball-Bundesliga mit sogenannten „Geisterspielen“ ohne oder mit weniger Zuschauern ausgetragen werden könnten, ist laut Prof. Wackerhage vorstellbar: „Für die Athlet_innen ist es ein Lebenstraum, an Olympischen Spielen teilzunehmen. Sie würden aber wohl auch antreten und mit Leidenschaft ihren Sport ausüben, wenn es ‚Geisterspiele‘ wären. Ob man dann als Zuschauer_in aber noch das Gefühl hat, dass es ‚echte‘ Olympische Spiele sind, ist schwer zu sagen. Viele Menschen haben auch zunächst die Wiederaufnahme der Bundesliga ohne Zuschauer_innen in den Stadien abgelehnt. Aber im Nachhinein waren viele froh, dass man sich die Partien zumindest im Fernsehen anschauen konnte, auch wenn die Fans nicht live dabei sein konnten.“
Abschließend betonte Prof. Wackerhage: „Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben. Im Sport bedeutet das, zu verstehen, wie hoch die Infektionsrisiken sind und wie sie wirksam reduziert werden können. Im weiteren Schritt könnte man dann solche Sportausübungen ermöglichen, die ausreichend sicher durchgeführt werden können, und diejenigen verbieten, bei denen eine mögliche Infektionsgefahr für alle, aber insbesondere für Risikogruppen zu hoch ist.“
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Zur ZDF-Sportreportage vom 19. Juli 2020
Kontakt:
Prof. Dr. Henning Wackerhage
Lehrstuhl für Sportbiologie
Georg-Brauchle Ring 60/62
80992 München
Telefon: 089 289 24480
E-Mail: Henning.Wackerhage(at)tum.de
Text: Romy Schwaiger
Fotos: ZDF-Sportreportage