Bevor die deutschen Leichtathleten ab Montag ihre Wettkämpfe in München absolvieren, verbringen sie davor ihr Pre-Camp im Sepp-Brenninger-Stadion in Erding. Bereits in der Früh trainieren die Athlet_innen der verschiedensten Disziplinen im Stadion. Der Fokus der Sportler_innen liegt voll und ganz bei den Übungen, sodass die Zuschauer nur wenig Beachtung finden.
Hammerwerferin Samantha Borutta schwingt den Hammer in faszinierenden Achterkreisen um ihren Körper herum, beschleunigt und schleudert ihn anschließend mit voller Kraft nach vorne hinaus, wo der Hammer im staubenden Gras zu Boden kommt. Zeitgleich wird bei den Damen die Staffelübergabe trainiert. Gina Lückenkemper läuft mit Höchstgeschwindigkeit auf Rebekka Haase zu. Diese steht bereits in der Startposition da, im leichten Ausfallschritt nach vornegebeugt, Arme gegengleich gestreckt und fängt ebenfalls an, mit Vollgas zu beschleunigen. Lückenkemper holt sie ein und schreit ein lautes „Hep!“. Haase streckt den Arm nach hinten, Lückenkemper legt den Staffelstab in ihre Hand und sie sprintet weiter. Währenddessen läuft auf der anderen Seite des Stadions die 400-Meter-Läuferin Corinna Schwab 200 Meter in ihrem schnellstmöglichen Tempo und wird dabei von ihren Teamkolleginnen mit einem lauten „Auf geht’s, Corinna!“ angefeuert.
Nach dem Training am Vormittag geht es für die Athlet_innen zum Mittagessen. Anschließend stehen für einige der Medaillenhoffnungen Interviews an, bei denen sie zahlreichen Journalist_innen verschiedener Medien Rede und Antwort stehen. Die interessantesten Antworten sind im Folgenden zusammengefasst.
Malaika Mihambo:
Olympiasiegerin und Weltmeisterin im Weitspringen, Malaika Mihambo, die gerade noch eine Corona-Erkrankung erlitten hatte und bis Freitag überhaupt nicht wusste, ob sie beim Wettkampf sicher antreten wird, beschreibt ihren derzeitigen gesundheitlichen Zustand: „Am Anfang habe ich es doch noch in der Lunge gemerkt, das ist jetzt nicht mehr so. Aber wenn ich einen langen Tag mit vielen Terminen habe, dann merke ich es schon noch, dass ich schnell ermüdet bin, wo ich sonst nicht so die Probleme habe. Außerdem brauche ich länger, um zu regenerieren, aber ich denke, das ist im Weitsprung zum Glück nicht das größte Problem, da habe ich immer genug Zeit zwischen den Sprüngen. Und auch die Qualifikation und das Finale liegen zwei Tage auseinander.“
Außerdem erzählt sie, wie wichtig die mentale Stärke während der Quarantäne war: „Für mich ging es hauptsächlich darum, die EM nicht schon im Vorhinein abzuschreiben und an mich zu glauben. Aber ich habe auch gemerkt, wie schwer es ist, sich vorzubereiten, wenn man das Ausmaß der Krankheit gar nicht so richtig einschätzen kann. Jedoch habe ich nicht so viel Substanz verloren. Ich kann sicher noch über sieben Meter springen. Das muss man sich jeden Tag wieder sagen und auch zutrauen.“
Ihre Vorfreude auf die Europameisterschaft sei durch die COVID-19--Erkrankung jedoch ein wenig getrübt, da ein Gefühl der Unsicherheit über das eigene Leistungsvermögen bleibe.
Alica Schmidt:
Die 400-Meter-Läuferin Alica Schmidt zieht ein letztes Fazit über die WM und was sie für die EM nochmal verbessern konnte: „Wir haben uns mehr erhofft und wir können mehr. Aber wir haben aus unseren Fehlern gelernt und uns viel mit unserem Bundestrainer darüber unterhalten, was wir noch verbessern können. Ich hoffe, wir können das jetzt bei der EM zeigen. Jetzt vor Ort werden wir nur noch die Wechsel trainieren, um diese zu optimieren und dann wird jeder sein Bestes im Rennen geben.“ Als Ziel für das Einzel, bei dem Alica Schmidt das erste Mal antritt, hat sie sich das Halbfinale vorgenommen.
Darüber hinaus äußert sich Schmidt zu dem System der Förderung in der Leichtathletik: „Ich bin noch eine junge Athletin und es ist nicht einfach, wenn man aus der Jugend kommt, sich bei den Aktiven einzugliedern. Deswegen ist es gut, dass es die U23 gibt, um da den Anschluss zu finden. Wenn man erfolgreich ist, hat man auch eine gute Förderung. Doch Athleten sind trotzdem oft darauf angewiesen, selbst Sponsoren zu finden, um sich den Lebensunterhalt leisten zu können. Für viele ist es nicht leicht, sich hundertprozentig auf den Sport zu konzentrieren, was natürlich im Leistungssport schwierig ist.“
Owen Ansah:
Owen Ansah, der für die 100 Meter, 200 Meter und die Staffel das erste Mal bei einer EM nominiert ist, beschreibt sein Ritual, das er vor dem Start durchführt: „Wenn ich ‚Auf die Plätze‘ höre, mache ich ein kurzes Gebet, zeige kurz mit dem Zeigefinger auf die Ziellinie und gehe dann runter.“
Zudem schildert er das Verhältnis zu seinem Teamkollegen Lucas Ansah-Prepah, mit welchem er beinahe täglich im gleichen Verein trainiert: „Wir sind bei jedem Wettkampf in einem Zimmer. Wenn wir auf den Platz kommen, sind wir keine Freunde und jeder konzentriert sich auf seinen Lauf. Wir klatschen uns ab und dann ist jeder in seinem Tunnel. Aber nach dem Lauf gratulieren wir uns gegenseitig und unterstützen uns, wenn es mal nicht so gut gelaufen ist.“
Auf die Frage, wann die zehn Sekunden bei seinem 100-Meter-Sprint fallen werden, antwortete Owen humorvoll: „Vielleicht ja jetzt schon in München.“
Lucas Ansah-Prepah:
Lucas Ansah-Prepah, der ebenfalls für die 100 Meter im Einzel und die 100-Meter-Staffel nominiert ist, reagiert entspannt auf die Frage, wann er die zehn Sekunden unterschreiten wird: „Die fallen, wenn sie fallen wollen. Mein Ziel ist ganz klar, dass ich die Zehn-Sekunden-Marke knacken möchte, aber ich mache mir keinen Kopf darüber, wann das sein wird.“
Folgend gab Lucas einen kurzen Einblick in das gemeinsame Training mit Owen Ansah: „Wir pushen uns gegenseitig. Wir sind nicht immer die Trainingsweltmeister, es gibt schon Tage, an denen wir mehr Gewicht heben oder schneller laufen könnten. Aber wir provozieren uns gegenseitig, haben Spaß zusammen und geben dafür im Wettkampf alles.“
Gina Lückenkemper:
Die 100-Meter-Läuferin Gina Lückenkemper sagt über ihren aktuellen Leistungsstand: „Dieses Jahr ist das erfolgreichste Jahr meiner Karriere gewesen, weil ich es geschafft habe, so konstante Zeiten zu laufen, wie noch nie zuvor. Allein deshalb ist diese Saison, egal wie es am Ende bei der Europameisterschaft noch läuft, ein sehr großer Gewinn. Aber ich hoffe natürlich trotzdem, dass ich mit der EM dem Ganzen noch das Krönchen aufsetzen kann.“
Nachdem Lückenkemper nach der WM öffentlich Kritik am deutschen Fördersystem geäußert hatte, beschreibt sie, wie die Reaktion darauf ausgefallen sind: „Das Feedback war sehr gut. Ich hatte viel Austausch mit Sportlern aus anderen Sportarten, aber auch mit Eltern von Kindern aus anderen Sportarten. Es gibt auch immer mehr Menschen von DLV-Seite aus, die für einen Dialog bereit sind. Julian Reus (DLV-Leistungssportreferent, Anm d. Red.) hat bereits angekündigt, dass er sich mit mir und ein paar anderen Athleten zusammensetzen möchte, um zu klären, was der Verband tun kann, um uns besser zu unterstützen. Ich freue mich darüber, dass man uns zuhört und bereit ist, etwas zu ändern.“
Rebekka Haase:
Die 100-Meter-Läuferin Rebekka Haase erklärt, warum sie und ihre Staffelkolleginnen als Team so gut funktionieren: „Wir kennen uns. Innerhalb der letzten sieben bis acht Jahre haben wir uns kennengelernt und wir schätzen uns gegenseitig. Jeder hat seine Eigenheiten, seinen individuellen Rhythmus, seinen eigenen Lifestyle, aber wir akzeptieren das und genießen das, dass wir so unterschiedlich sind. Und es wird auch keine in ein Schema gepresst, da wir wissen, wir funktionieren so, wie wir sind. Jede bringt ihre Stärke und ihre Individualität mit und daher passt das wirklich gut bei uns.“
Außerdem weist Haase in ihrem Interview auf ein ernstes Thema hin, mit dem sie auch die „schlechten“ Leistungen der WM erklärt: „Es ist wirklich schwierig, in einem Jahr nach Olympischen Spielen wieder auf der Bahn zu stehen. Ich kenne sehr viele Athleten und da schließe ich mich auch mit ein, die an einer Post-Olympia-Depression leiden. Du bist zu nichts mehr in der Lage, weil du orientierungslos bist. Auch wenn du weißt, Olympia kommt wieder, nimmt es dir im ersten Moment alles, an dem du gearbeitet hast. Und das nachzuvollziehen, ist sehr schwierig. Mich unterstützt Tanja Damaske, die DLV-Psychologin. Ich habe nach Olympia angefangen, mit ihr intensiv zu arbeiten. Ich habe die Hallensaison weggelassen, weil ich mental nicht mehr konnte. Damit ich da wieder rauskomme, habe ich hart mit Tanja Damaske gearbeitet und die Ursache gesucht. Außerdem hat mich mein Umfeld unterstützt. Erst im März konnte ich wieder anfangen, zu laufen, um die Sommersaison vorzubereiten. Viele Athleten können über so einen Punkt drüber gehen, vor allem die Jungen, aber man steht vor einem Höhepunkt, wie der EM, ein Jahr nach Olympia, und ist eigentlich noch nicht bereit dazu. Ich glaube, das ist für einen Außenstehenden schwer nachzuvollziehen.“
Text: Luisa Peintner
Fotos: Melanie Langenwalter